Volltext: Vor Pest, Hungersnot und Krieg verschone uns, o Herr! (3. Heft / 1920)

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bung, daß wir sie — obgleich sie vom entgegengesetzten 
Winkel Süddeutschlands flammt. — hier bringen. 
>7m Elend und im Glück sind fa alle Deutschen gleich — 
ob sie nun Nupertiwinkler oder Godenseeschwaben sind. 
Ein seltener Unstern stand über dein Jahre 1816. Emen Winter voller 
Schnee, Sturm ünb Regen lösten ein Frühjahr und ein Sommer ab, in dem 
man die Sonnentage an den Fingern zählte. Der Himmel war von grauen 
Wolkenwänden umstanden, aus denen in buntem Spiel schwere Wetter, 
tzagelschläge und Wollkenbrüche niedergingen. Tagelang leuchtete der Horizont, 
rollte der Donner, heulte der Wind, und eine jede Zeitung wußte von neuem 
Unglück zu berichten, von zerschlagenen Fluren, von ersoffenen Feldern und 
Vieh. Der nasse Boden hatte die Saat fast allenthalben verzögert, ja viel 
fach unmöglich gemacht, und die Feldfrüchte und Gartengewächse verfaulten, 
oft schon in ihren ersten Wurzeln. Run saß man im Sommer um die ge 
heizten Oefen und starrte schweigend durch die trüben Scheiben dem unheil 
vollen Dunkel der wandernden Walken nach!, während im Herzen die graue 
Furcht vor dem Kommenden zehrte. Prophezeiungen über das nahe Weit 
ende liefen durch Hand und Mund, in der verschleierten Sonne sah man 
seltsam dräuende Zeichen, und aus dem Württembergischen kamen auf dem 
Wege nach einem erträumten russischen Glücks,ltand die ersten verhärmten Aus- 
wand er erfamilien mit Sack und Pack. baten um Brot und Strohlager und 
zogen weiter. Indessen nistete sich die Rot häuslich im eigenen Land ein 
und ward vielen so vertraut, daß sie selbst ihre Furcht vergaßen, nachdem sie 
ihr Hoffen schon längst begraben hatten. Da waren die Menschen stumm 
geworden und flüchteten ihren Gram in die stillen Betstunden, die man seit 
dem Juli eingerichtet hatte, und vermischten ihre demütigen Bitten mit den 
von der Regierung seit dem Beginn des August allenthalben verordneten 
feierlichen Kirchengebeten um eine gnädige Ernte. Doch diese Ernte kam 
spät Und kärglich und im Gebirge begrub sie vielfach schon ein früher Winter- 
schnee. So schien das Schchabenland wieder einmal, wie schon so oft, von Gott 
besonders begnadet, als feine Felder in der letzten Angustwoche schnittreif 
standen. Aber der tzulnger war groß und die Frucht gering, die kraftlosen, 
körperarmen Halme standen gar dünn gesät, und das beste Korn wurde vor 
zeitig aus den Feldern von hungernden Taglöhnern entwendet. Obwohl die 
Feld- und Gartenbesitzer selbst in den trübsten Regennächten ihr Besitztum 
abgingen und vereinzelte nächtliche Schüsse von ihrer Wachsamkeit Kunde 
gaben, fing man nur selten einen Getreidedieb. Und als man endlich einmal 
doch einen dieser armen Teufel erwischt und mit einer Schandtafel um den 
Hals auf dem Markt öffentlich ausgestellt hatte, da war das Mitleid um 
den jungen, bleichen, wohlbekannten Menschen allgemein, und es war der 
Mutter bis ins hohe Alter eine der freudigsten Erinnerungen, daß sie ihm 
damals heimlich ein Stück Kletzenbrot zustecken konnte, das er mit einem Blick 
voll dankbarer Scham einschob. 
Nun strickten die Frauen und Mädchen an den langen Abenden Strümpfe 
und Halstücher für die Bedürftigen, und der Großvater lief täglich mit der 
grünen, immer scheppernden Armenbüchse von Hans zu Haus, um Almosen 
für Brot Und Holz zu sammeln, bis gegen Jahresende ein Wohlfahrtsausschuß, 
die stets 'wachsende Not zu mildem suchte. Bei dem geringen Ertrag an WeiKu 
und Roggen backte man Haferbrot, wozu eine eigene Hafermühle errichtet 
wurde, oder Kartoffelbrot, und die Ortsschreiner hatten mit der Anfertigung 
hölzerner Kartoffelpressen und -Reiber wieder auf einige Fit die vermißte 
Arbeit. Auch Rübenbrot wurde vielfach empfohlen und erprobt und allerlei 
Kräuter unter das Brot gemischt, von denen die meistgebrauchten Knüllen nur 
allzuhäufig Berauschungen, Schwindel und Ohnmacht erzeugten. Das ge 
schmähte Pferdefleisch aber war nun vielen eine dankbar genossene Gabe. So 
ging man still durch die immer trüberen Monate. 
Nur einmal, zu Dezemberanfang, geschah etwas Unerwartetes. Die Ge 
treidepreise stiegen, aber die Schranne war mit reicher Zufuhr versehen und
	        
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