Volltext: Vor Pest, Hungersnot und Krieg verschone uns, o Herr! (3. Heft / 1920)

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einer vor Bewegung zitternden Stimme das Ereignis durch die Straßen an 
gerufen: 
Hört, ihr Christen! laßt Euch sagen, 
Die Ernteglocke hat geschlagen, 
Sie dringt uns neues, gutes Brot 
Und enden wird die Teuvungsnot! 
Dankt Gott dafür! 
Diese Nacht war voll Wachen, voll stammelnder Gebete und Tränen der 
Rührung. Ein warmer Sommerwind trug von den Sternen die glückliche 
Botschaft von Vergessen und Vergeben durch die Welt, und alle Wunder 
des Menschenherzens erblühten, berührt von dem heiligen Atem der göttlichen 
Gnade. Und der himmlische Vater nahm in dieser geweihten Nacht den Men 
sche nsohn. der sich schon verloren geglaubt, in seine Arme und erschloß ihnr 
aufs neue das Paradies der Welt. Die Kinder aber wachten mit fieberndem 
Erwarten dem Tag entgegen, der ihnen ein Fest bringen sollte, wie es ihnen 
kein Märchen je wunderreicher erzählt hatte. 
Am frühen Morgen durfte unsere Mutter in ein schönes weißes Mullkleid 
schlüpfen und bekam aut den kleinen Locke,nkopf ein Kränzlein mit roten, 
blauen und gelben Blumen gedrückt: dazu einen goldenen Schäferinnenstab, 
über und über aufgebunden mit Rosen, Lilien und Nelken, und eine zierliche 
silberne Sichel in beide Hände. Vor dem Haus erwarteten sie schon gleich 
gekleidete Schulfreundinnen und eilten mit ihr zu dein mit mannigfachen 
frommen Blumenschriften und Girlanden behangenen Stadttor, durchs das die 
Erstlinge der Frucht heute ihren feierlichen Einzug halten sollten. Hier nahmen 
die Schulkinder, voran die Chöre der Knaben und Mädchen, von ihrem alten 
Lehrer geführt, hinter der Musikkapelle Aufstellung, um die Spitze des Zu 
ges zu bilden. Hinter dem Tore Hatten sich der Gemeinderat, die geistlichen 
und weltlichen Behörden und die angesehensten Bürger der Stadt aufgestellt, 
alle mit. hohen Zylindern und in festlicher Gewandung, unter ihnen der 
Großvater in feinem langen blauen Frack 'und der neuen gelben, weithin 
leuchtenden Hose. Als es vom MartinStuvm unter lautloser Stille der 
erwartungsvollen Menschenmenge den Choral einblies, nahte, von vier reich- 
geschmückten Pferden gezogen, der Erntewagen, hoch von Korn getürmt und 
mit artigen Spruchtafeln und Laub- und Blumengewinden bunt umhangen. 
Zu seinen Seiten schritten je drei festlich gekleidete Schnitter, die auf hohen, 
bänderumwundmen Stangen Fruchtgarben trugen. Als der Wagen bind) 
das Tor einfuhr, begannen alle Glocken zu läuten, und Böllerschüsse ohne 
Zahl überschrien den endlosen Fabel des Volkes, das sich zu dem Wagen 
herandrängte um zur Erinnerung an diesen denkwürdigen Augenblick eine 
Äehre von ihm zu erhaschen. Nun ging der Zug, stets anschwellend und 
vielfach stockend von der andrängenden Menschenmenge, durch das Städtlein 
zur Pfarrkirche, und kein Auge blieb ungerührt, als die 300 Schulkinder 
unter den schmelzenden Klängen der Musik ihr Erntedanklied zu singen 
begannen: 
Wir danken, Gott, für Deinen Segen auf Äckern, Wiesen. Feld und Au. 
Du gabst uns Sonnenschein und Regen. Frost. Hitze. Donner. Wind 
und Tau! 
Es blüht' und reifte unsre Saat nach Deinem wunderbaren Rat. 
Der Himmel träufelt lauter Güte, die Erd' ist Deiner Schätze voll. 
Damit ein achtsames Gemüte Dich finden und bewundern soll, 
Dich, der durch seine weife Macht dies alles hat hervorgebracht . . . 
Bewahre ferner unsre Saaten und unsre Häuser, Hab und Gut, 
Bewahr uns. Herr, vor Missetaten, vor Wollust, Geiz und Übermut! 
Weil sonst in größtem Überfluß die Seele doch verderben muß . . . 
So wollen!wir denn hier auf Erden, des guten Samens auszustreun, 
Nie müde, nie verdrossen werden, und uns vielmehr der Ernte freun, 
Die einst, Nach dieser Zeit der Saat, dein Rat für uns ersehen hat. 
Sobald der Zug zur Kirche kam und man die wohlgeschmückte Opfer 
garbe zum Altar trug, begannen wieder die Glocken zu läuten. Und als
	        
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