10 einer vor Bewegung zitternden Stimme das Ereignis durch die Straßen an gerufen: Hört, ihr Christen! laßt Euch sagen, Die Ernteglocke hat geschlagen, Sie dringt uns neues, gutes Brot Und enden wird die Teuvungsnot! Dankt Gott dafür! Diese Nacht war voll Wachen, voll stammelnder Gebete und Tränen der Rührung. Ein warmer Sommerwind trug von den Sternen die glückliche Botschaft von Vergessen und Vergeben durch die Welt, und alle Wunder des Menschenherzens erblühten, berührt von dem heiligen Atem der göttlichen Gnade. Und der himmlische Vater nahm in dieser geweihten Nacht den Men sche nsohn. der sich schon verloren geglaubt, in seine Arme und erschloß ihnr aufs neue das Paradies der Welt. Die Kinder aber wachten mit fieberndem Erwarten dem Tag entgegen, der ihnen ein Fest bringen sollte, wie es ihnen kein Märchen je wunderreicher erzählt hatte. Am frühen Morgen durfte unsere Mutter in ein schönes weißes Mullkleid schlüpfen und bekam aut den kleinen Locke,nkopf ein Kränzlein mit roten, blauen und gelben Blumen gedrückt: dazu einen goldenen Schäferinnenstab, über und über aufgebunden mit Rosen, Lilien und Nelken, und eine zierliche silberne Sichel in beide Hände. Vor dem Haus erwarteten sie schon gleich gekleidete Schulfreundinnen und eilten mit ihr zu dein mit mannigfachen frommen Blumenschriften und Girlanden behangenen Stadttor, durchs das die Erstlinge der Frucht heute ihren feierlichen Einzug halten sollten. Hier nahmen die Schulkinder, voran die Chöre der Knaben und Mädchen, von ihrem alten Lehrer geführt, hinter der Musikkapelle Aufstellung, um die Spitze des Zu ges zu bilden. Hinter dem Tore Hatten sich der Gemeinderat, die geistlichen und weltlichen Behörden und die angesehensten Bürger der Stadt aufgestellt, alle mit. hohen Zylindern und in festlicher Gewandung, unter ihnen der Großvater in feinem langen blauen Frack 'und der neuen gelben, weithin leuchtenden Hose. Als es vom MartinStuvm unter lautloser Stille der erwartungsvollen Menschenmenge den Choral einblies, nahte, von vier reich- geschmückten Pferden gezogen, der Erntewagen, hoch von Korn getürmt und mit artigen Spruchtafeln und Laub- und Blumengewinden bunt umhangen. Zu seinen Seiten schritten je drei festlich gekleidete Schnitter, die auf hohen, bänderumwundmen Stangen Fruchtgarben trugen. Als der Wagen bind) das Tor einfuhr, begannen alle Glocken zu läuten, und Böllerschüsse ohne Zahl überschrien den endlosen Fabel des Volkes, das sich zu dem Wagen herandrängte um zur Erinnerung an diesen denkwürdigen Augenblick eine Äehre von ihm zu erhaschen. Nun ging der Zug, stets anschwellend und vielfach stockend von der andrängenden Menschenmenge, durch das Städtlein zur Pfarrkirche, und kein Auge blieb ungerührt, als die 300 Schulkinder unter den schmelzenden Klängen der Musik ihr Erntedanklied zu singen begannen: Wir danken, Gott, für Deinen Segen auf Äckern, Wiesen. Feld und Au. Du gabst uns Sonnenschein und Regen. Frost. Hitze. Donner. Wind und Tau! Es blüht' und reifte unsre Saat nach Deinem wunderbaren Rat. Der Himmel träufelt lauter Güte, die Erd' ist Deiner Schätze voll. Damit ein achtsames Gemüte Dich finden und bewundern soll, Dich, der durch seine weife Macht dies alles hat hervorgebracht . . . Bewahre ferner unsre Saaten und unsre Häuser, Hab und Gut, Bewahr uns. Herr, vor Missetaten, vor Wollust, Geiz und Übermut! Weil sonst in größtem Überfluß die Seele doch verderben muß . . . So wollen!wir denn hier auf Erden, des guten Samens auszustreun, Nie müde, nie verdrossen werden, und uns vielmehr der Ernte freun, Die einst, Nach dieser Zeit der Saat, dein Rat für uns ersehen hat. Sobald der Zug zur Kirche kam und man die wohlgeschmückte Opfer garbe zum Altar trug, begannen wieder die Glocken zu läuten. Und als