Volltext: Katholische Dichtung

VERLAG JOSEF KÖSEL & FRIEDRICH PUSTET MÜNCHEN 
ENRICA VON HANDEL- M A ZZETTl: 
DER VAGABUND UND SEIN KIND 
„Es hatte die Nacht etwas gefchneit oder eigentlich Eis geriefelt. Auf dem Weg 
von Quedlinburg nach Ballenftedt, dort, wo aus dem Baumdickicht die Quelle 
herfürkommt, die fich aufgetan haben foll, als Chriftus der Herr auf Kalvaria 
ftarb und feiner Mutter Tränen unter dem Kreuze floffen, lag noch halbzer 
gangener Reif, daraus nun und dann im Glanz der Herbftmorgenfonne Blitze 
in allen Farben fprühten. — Nah beim Urfprung der Quelle waren in den Tagen, 
wo Kälte und Sonne miteinander gekämpft hatten, Rinnfale entftanden, die fich 
in einer tiefer gelegenen Höhlung des Bodens zu einer Art Tümpel gefammelt 
hatten. Hier, in der Nähe des Tümpels, lag noch der abgehauene Baum, wo 
die große Mutter von Quedlinburg vor Zweiwochenfrift mit ihrem Berater 
aus Leipzig fich ausgeruht und die Gefchicke ihrer Stadt befprochen hatte. 
Nun faß auf diefem gleichen Ruheplatz ein großer, wilder Menfch in abgeriffener 
Kleidung, mit verfchoffenem roten Rock und fchäbigem Wettermantel, neben 
fich den Knotenwanderftock und den abgetanen, verwetterten Hut, und fchnitt 
fich mit einem im Griff feftftehenden Meffer auf einem Ranken Brot Käse zu. 
Unter feinen Mantel duckte fich ein braunes Knäblein mit blanken, goldenen 
Augen; vor ihm faß ein riefiger Wolfs rüde und fah ihn unverwandt an, leife mit 
der Rute den bereiften Boden fchlagend. — Der Mann, unterdem er Käfe und 
dann das Brot zerfchnitt und aß, warf nun und dann dem Hund einen Happen 
zu; die beften Billen aber bekam das Knäblein. 
Es war Schubarth der Schlefier mit feinem Kind, der hier im Freien, im fcharf 
blafenden Morgenwind unter den vom Reif verfilberten Bäumen feine Kollation 
einnahm. — Er hat müffen von Quedlinburg noch vor Tag ausrücken; denn 
fchon im Lauf der Nacht ward es in der Kaferne lautmärig, daß die Herzogin 
den Preußen fuchen lalle, der aufs Schloß ohne Verlaub gekommen, andere mit- 
gefchleppt, fein Kind als Jefukind den Adelsfrauen aufgedrungen habe. Dann 
allerdings das Glorietfeuer habe ftillen geholfen. — Das Frührot glühte zwifchen 
den kahlen Bäumen auf, und das Kindlein unter des Vaters Mantel wachte auf 
und begann zu lachen, zu zwitfchern und verlangte zu elfen. Da fetzte er fich 
zur Quelle und teilte aus. — Als fie zu dreien, er, das Knäblein und der Rüde* 
mit gleichem Appetit den Quedelburger Käs und das Quedelburger Brot ver 
zehrt hatten und die Sonne nun als feurigrote, flammende Kugel im blauen, 
hellen Himmel emporfchwebte, ftand Schubart auf und fpähte mit feinen falken- 
fcharfen Augen gen Nord, gegen Quedelburg, die Straße, die er hergekommen 
war. Sie war verfallen. Die Kerls hatten fich wohl fo fchnell nicht davonmachen 
können, aber ihm war um feine Bücher; er ärgerte fich, daß fie nicht kamen, 
die Märzenkater; wo hatte fie der Sakerlot? 
Unmutig warf er fich wieder auf den Baumstamm. Ein hungriger Vogel fchrie 
kreifchend im kahlen Geäft, und in den kleinen Tümpel fuhr rafchelnd eine 
Quadde. 
Der Vagabund langte in die rechte Rocktafche um feine Pfeife; Stahl und Feuer-
	        
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