Volltext: Katholische Dichtung

Kathol. Dichtung 2 
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„Haft du noch Mut? Immer noch Mut?“ rief ein anderer und fchlug zu. 
„Wir wollen fehen, wie lange fein Mut ftandhält“, lachte ein Vierter und 
hielt ihm die Piflole vors Gefleht. „Sie ift geladen, Prophet! Haft du noch 
Mut?“ Er drückte ab, im Knall zuckte Sebaftian zufammen. Alle johlten 
lachend, fo fei es recht, fo folle man weitermachen; der Prophet werde fchon 
noch um Gnade flehen. 
„Um Gnade für diefe hier!“ rief Sebaftian und breitete die Arme über feine 
Gemeinde. 
„Nein, für dich follft du betteln!“ lachten fie im Chor. 
„An die Laterne!“ fchrie ein Weib. „Heißt er nicht Sebaftian wie jener, 
der fich von Pfeilen fpicken ließ? Wir wollen diefen hier mit Kugeln durch 
löchern!“ Sie packten ihn und fchleppten ihn auf den Hof, wo fie ihn an den 
Laternenpfahl banden. Fußtritte fcheuchten feine Gefolgfchaft in einen 
Winkel; fie hob die Arme und flehte weinend; Fauftfchläge machten fie 
(lumm. 
Sebaftian ftand im Licht; feine Blicke hingen an dem Fetzen Himmel, der 
hoch oben zu fehen war. Seine Kleider waren zerriffen, die unirdifche Mager 
keit feiner befeelten Glieder machte die Wütenden ftumm. 
„Feige Hunde“, rief eine Dirne, „wagt ihr euch nicht an ihn?“ Sie riß einem 
Burfchen die Piftole aus der finkenden Hand und fchoß zweimal. Eine Kugel 
riß den Schenkel auf. „Weshalb fchreift du nicht?“ kreifchte das Weib. 
Das Blut machte die Menfchen rafend. Grauen wollte fich regen; fie zwangen 
es nieder und betäubten fich mit Gefchrei. Rafch hintereinander knallten 
die Schüffe. Man rief: „Haft du noch Mut? Und immer noch? Und bettelft 
noch nicht?“ 
„Herr“, fprach Sebaftian, und feine Stimme ftieg jäh auf wie ein Vogel in 
Todesangft und fank langfam und zuckend nieder, „lafle mein Blut frucht 
bar fein, Herr, Herr!“ Seine Glieder erfchlafften, er fank zufammen. Ein 
Lachen gellte auf und verkroch fich im Labyrinth eines Schreikrampfes. Ein 
Mann fagte dumpf zweimal: „Vielleicht — vielleicht —“ 
Die Mörder zogen den Kopf ein: es fchien, als liege ihnen daran, die Waffen 
zu bergen. Der Hof erftarrte in Schweigen. An den feuchten Wänden fchoben 
fich Geduckte davon. Die Dirne an der Erde liegend, erwachte aus ihrem 
Krampf, fetzte fich auf und ftrich fich mit der Hand über das Gefleht. „Wer 
hilft mir?“ wimmerte fie wie ein kleines Kind. 
Die Letzten, die entwichen, murrten verlegen: „Was geht das uns an? Da 
fehe du zu!“ 
Zwei Männer ftanden unfehlüffig und in Gedanken. Sie wagten es endlich, 
fich anzufehen, nickten fich zu und löften behutfam den Leichnam Sebaftians 
vom Laternenpfahl. Aus den Ecken kamen die Gläubigen. 
Aus der Katakombe fcholl es gewaltig: „Heiliger Sebaftian, bitte für uns!“ 
Entnommen aus: Franz Herwig „Sankt Sebaßian vom Wedding“. Eine Legende. 5. Auflage. 
14.—18. Taufend. Gr. 8°. 97 Seiten. Treis in Ganzleinen M. 3.— 
„Franz Herwig fchuf uns in St. Sebaftian vom Wedding das Bild des 
neuen, aus Gott und in ihm und durch ihn geborenen Menfchen, wie es 
in allen denen als heiße Sehnfucht lebt, die von dem heiligen Ergriffen* 
fein der Jugendbewegung berührt find. Es enthüllt uns das Geheimnis 
der Jugendbewegung und leuchtet weit und tief in es hinein und läßt 
uns die Aufgabe, nein, Sinn und die ganze und tiefe Erfüllung unferes 
Seins bewußt werden.“ „Der Kreuzfahrer“, Bochum
	        
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