Volltext: Heimat und Volkstum

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Emden, in Bozen und Vrixen half er wie in Buxtehude die Seele des deutschen Schülers 
über den gleichen Leisten zu zwingen. 
Da kam eine neue Unterrichtskunst. Sie nahm die Heimat, die Umwelt der Schüler, 
die große, nahe und überreiche Wirklichkeit zum Ausgangs- und Brennpunkte ihrer 
Lehre und mutzte diese naturgemäß in jedem Lande, in jeder Gegend, ja in jedem Orte 
anders gestalten. Wan hatte den beherrschenden Unterrichtsgrundsatz, der im Gefolge 
neuer Geistesstromungen hervorgetreten war, schon vor Iahuhunderten verkündet.- die 
kleinen Pädagogen aber, die geschäftigen Wännlein, welche die Lehr- und Schulbücher 
schrieben, hatten die Durchsetzung des großen und klaren Gedankens durch hundert andere 
pädagogische Spitzfindigkeiten und aufgebauschte Blätzchen aufzuhalten verstanden. 
Dem Schulmeister der Vorzeit blies kein Wind der Wirklichkeit durch die sorglich 
vernagelten Fenster in die mit abgestandener Luft und enge beschränkten Gedanken 
erfüllten Schulstuben. Mihsam eingedrungene Fortschritte brachten später die naturgemäße 
Lautiermethode und das unnatürliche, den deutschen Sprachunterricht ertötende Analy¬ 
sieren. Line seltsame Vereinigung der alten Überbleibsel mit dem neuen „Fortschritte" 
beherrschte noch in meiner eigenen Schulzeit denUnterrichtsbetrieb'. da wurde am Samstag 
das Evangelium des folgenden Sonntags wie ein anderes Lesestück gelesen, nachher aber 
— und das brachte der neue Geist mit — Wort für Wort analysiert. „In jener Seit ——" 
Bald aber wurde das Evangelienbuch vom Uealienbuch verdrängt. Dessen Schlagworte — 
es war „porm und Knaule" — wurden den Kindern meist unverstanden zum Auswendig¬ 
lernen aufgegeben, denn erklären konnte sie ja der Herr Lehrer selber nicht. So ging 
alles schön ruhig und ordentlich zu und man wußte, was aufzugeben und was zu lernen 
war. Da kamen hechte in den Karpfenteich der Schule, die hießen Junge und Twie¬ 
hausen. Sie riefen mit ihren „Lebensgemeinschaften" viel Unruhe und Getöse hervor. 
Seyferts „Beobachtungsaufgaben" flogen wie ein Stein in den ruhigen Wasserspiegel. 
Auch in Erdkunde und Geschichte war den Neuerern bald nichts mehr heilig. Während 
man früher am Globus, dem wichtigsten Lehrmittel der alten Schule, gleich die ganze 
„Weltkugel" auf einmal vorführen und gleich tüchtige Lehrergebnisse abfragen konnte, 
sollte man jetzt bei der Heimat (!) anfangen, mit der sich doch nicht viel Uühmens auf¬ 
stecken ließ, deren ruhmvolle Hutweiden, Woräste und Wohnorte doch ohnehin jeder kannte, 
hier ist kein König durchgereist, hier wurde keine Schlacht geschlagen, hier ist kein Held 
geboren! von keinem unserer Dörfer kennt man den Gründer, von der Burgruine wissen 
nur alte Leute einige Sagen, die Namen unserer Orte und Fluren kann kein Wdnsch 
erklären und in keiner Weltgeschichte, in keinem Geschichtslehrbuche, in keiner Chronik 
ist über unsere Heimat etwas zu lesen! 
Allmählich schickte man sich aber dennoch drein und man sah, daß dieser Heimat- 
unterricht doch viel schwieriger war als man sich anfänglich vorgestellt hatte, weit schwie¬ 
riger jedenfalls als die bequeme Stubenlehre an der Weltkugel, die im Grunde genommen 
doch nur ein unehrliches Geschäft war, da sie mit Vorstellungen Ball spielte, hinter denen 
keine Anschauung steckte, während die Heimatkunde keine Spielmarken duldete, sondern 
auf der Zahlung in reiner Goldwährung bestand. 
Die stoffliche Umwälzung im Schulfache ermöglichte erst die Anwendung aller Wittel 
der neueren Lehrkunst, und der ganzen neueren Neformbewegung auf dem Gebiete des 
Schulwesens liegt die Bildung aller Vorstellungen an der Umwelt des Kindes zugrunde. 
Wo eine Schulbehörde neuere Lehrpläne herausgab, mußte sie notgedrungen die Heimat 
zur Herrin, zum Wittelpunkte alles Unterrichtes machen. 
Dem gewissenhaften Lehrer sind damit schwere Aufgaben gestellt worden. Er muß 
sich nun für seinen — und bei Stellenwechseln — für jeden einzelnen Dienstort den Lehr¬ 
stoff erst mühsam zusammensuchen und erarbeiten oder diesen, wie es bei der Wittelschule 
der Fall ist, doch wenigstens zur nahen Umwelt in engere Beziehung bringen. In keinem 
Lehrfache tritt diese Notwendigkeit so deutlich.und so dringend auf, wie bei den Natur¬ 
wissenschaften; am frühesten aber hat die Erdkunde aus dieser Notwendigkeit Gewinn 
gezogen. In deren Dienst trat die „Heimatkunde", welche auf der Wittelstufe die „erd¬ 
kundlichen Grundbegriffe" an der Hand der Heimat lehrte. Heimatkunde ist aber 
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