Volltext: Heimat und Volkstum

45 
Und wenn ein begnadeter Dichter sein allerschönstes Buch schreiben will, dann wird es 
eins vom Wandern. So schuf Eichendorff seinen „Taugenichts", Mörike fein „Stuttgarter 
Hutzelmännlein" und in unfern Tagen Watzlik die „Abenteuer des Florian Regenbogner", 
so gebar das Sehnen unserer stubenhockerischen 3eit den — Wandervogel. 
Buch Wandern ist Arbeit, freilich die lustvollste von allen. Nicht vom Brote 
allein lebt der Mensch; Wir wollen auch in der heiligen Schrift lesen, in der heiligen 
Schrift der Volks- und Naturüberlieferung, wir wollen vom Leben, von der lebendigen 
Natur lernen, was uns dieses und diese zu erzählen sogerne bereit sind. Ein vorsorg¬ 
licher Richter hört doch beide Teile. Die Schule allein mag da den Jungen und Mädeln 
nicht mehr genügen, hoffentlich wird man es nicht mehr lange von uns Lehrern sagen, 
was ich in dem prächtigen Büchlein Ludwig Finckhs „Seekönig" lese: „Schulmeister 
sind Leute, die am meisten in die Schule müssen, weil sie so wenig von den Sachen Gottes 
verstehen." Es wächst fa doch auch mit der neuen Schule eine- Lehrerschaft heran, die in 
sie hineinpaßt und imstande und willens ist, sie (die Einrichtung) und die sie nützenden 
Schüler hinauszuführen in ein helleres Land, in dem frische Lüfte wehen und Bach und 
Baum und Wiese und Wald von den „Dingen Gottes" erzählen. 
Ich will hier keine große Abhandlung über das Wandern schreiben; aber dringend 
darauf hinzeigen will ich, daß die Schüler „herbatim" geführt werden müssen. Die 
Kleinen ums Schulhaus, die Großen immer weiter und weiter. Wir wollen zu den 
Bäumen im Walde gehen, sie wollen uns das Wunder ihrer Schlankheit und ihres 
Wachstums aus Luft und Erde verraten; der rollende Riesel im Bach und der Findlings- 
block auf der Heide, sie erzählen uns von langen und weiten Reisen; der Ackerboden, 
die Lehmgrube und die mächtigen Steinmeere an den Gipfelhängen unserer Berge, sie 
berichten vom verfall der herrlichsten, hochragendsten Dinge; die Moränen, Stauseen 
und Gletscherschlifse unserer Böhmerwaldheimat, sie lassen uns das Knirschen der eiszeit¬ 
lichen Gletschermassen hören; die aus dem tiefen Bachbett ragenden Felsenbrocken weisen 
uns die unglaubliche Geschichte von der Durchsägung einstiger Seebarren durch stürmende 
Wasser, die Neigung und Faltung unserer Felsschichten zeigt die Spuren des Trauerspiels 
eines vom Glutball zum einschrumpfenden Apfel auskühlenden Weltkörpers, mit den 
furchtbaren Vorgängen des donnernden versinkens und des sprühenden Aufsteigens mäch¬ 
tiger Erdschollen. Der Geschichten ist kein Ende, wenn wir die Modererde im Wald, 
das Moos am müden Stein, das dürre Blatt im Winde fragen, das ein Erleben erzählt, 
so bunt wie es selber ist. 
Und fragen wir erst wie Hermann Löns beim wimmelnden Getier an, bei allem, 
was da kreucht und fleucht! So reich ist die Bibel der Schöpfung, wie kein Buch, das 
Menschen schrieben. In dieses soll unsere Jugend auch hineingucken und in diesem soll 
es auch buchstabieren lernen. Vas Lesen kommt dann schon mit den Jahren, mit ihm 
auch Ehrfurcht vor den Dingen der Schöpfung und das Bewußtsein der eigenen Klein¬ 
heit und Ohnmacht, aus dem sich nur der feste, aufrechte Sinn (wie der ausdauernde 
Schritt des kühnen Wanderers) über alle Gipfel des irdischen Daseins zu schwingen 
vermag. ; !. ' h 
Und wir wollen auch zu den Menschen gehen und zu den Dingen, die sie 
geschaffen haben. Die Hirten und Köhler im Walde wollen wir belauschen und sie fragen 
nach ihrer Arbeit und was ihnen die Voreltern gelehrt und überliefert haben; wir wollen 
staunend und merkend aufhorchen und lernen und unsere Schreibtafeln sollen sich füllen. 
Nus den Denkmälern, Bauernhäusern, Kirchen und Burgen der Heimat sollen die Steine 
zu uns reden, gerade so, wie aus dem Gemäuer eingegangener Arbeitsstätten aus der 
umgrünten Hausruine im Wald, der alten Papiermühle am Bergbach, dem verfallenen 
Hammerwerk im fernen Tale, den Resten der Glashütte und des Hochofens, aus dem 
verstürzten Stollen und dem weiten Tagbaue wie aus der engen Wolfsgrube im Dickicht 
werden die Sagen und Geschichten von Jahrhunderten zu uns raunen.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.