Volltext: Heimat und Volkstum

28 
und Kabinettstücke darf er vor die Seele seiner Schüler stellen, denen platte Allgemein¬ 
heiten, wie sie in Lehrbüchern stehen, blauer Dunst ohne Anschauung sind — zu einem 
Dichter und Künstler soll er plötzlich werden — nur durch einen leichten Federstrich vom 
grünen Tisch — alles ohne Vorbildung und Hilfsmittel: derselbe Lehrer, der aus dem 
Riefengebirge stammt und im Egerlande unterrichten soll? Es weiß sich aber auch der 
Einheimische, das Grtskind selber, keinen Rat. da ihm der Vergleichsmaßstab der Fremde 
fehlt und er geht am Merkwürdigsten oft teilnahmslos vorüber, weil er es von Fugend 
auf gewohnt ist und schließlich meint, das müsse ja überall so sein! 
Sur Entschuldigung unserer Schulverwaltung glaube ich annehmen zu können, daß 
sie sich bei der Herausgabe ihrer Forderungen deren Tragweite gar nicht bewußt war. 
Sie glaubte wohl, eine verbesserte Lehrweise, die der „Schaffenden Arbeit" und eine „Neu¬ 
anordnung" des Lehrstoffes vorgeschrieben zu haben. Sie hätte aber ahnen können, daß 
sich an einem vom Vortragenden nicht beherrschten, schwer oder gar nicht zugänglichen 
Stoffe (unzulänglich freilich nur unter den vorliegenden Umständen) keine methodischen 
Wunder wirken lassen und daß- die letzten Taten dieses Menschen ärger sein werden als 
dis ersten! Wer erinnert sich nicht des alten Satzes: „Bedauernswerte Schüler, deren 
Lehrer nur das weiß, was er unterrichten soll!" In unserem Falle wären sie benei¬ 
denswert, wenn der Lehrer über seinen Stoff nur Knappen Bescheid wüßte! 
Wie überaus wichtig die Beherrschung der heimatkundlichen Stoffe für das Wirken 
des Lehrers ist, dafür mögen die Worte zeugen, welche Landesschulinspektor Dr. Anton 
Becker am 5. Jänner 1919 in der Wiener „Urania" über die Volksbildungskurse „Sur 
Landeskunde von Niederösterreich" sprach: 
„Dir sind nun ganz auf uns selbst gestellt und es ist unbedingt notwendig, 
daß wir uns der Kräfte und Schätze unseres Heimatlandes bewußt 
werden." — 
„Dir müssen unsere Jugend zur Arbeit erziehen. Das noch fehlende Rohmaterial 
muß durch die Arbeit des Volkes ersetzt werden. Unter Arbeitskraft verstehe ich sittliche 
TharaktersLärke und Arbeitsamkeit, verbunden mit Intelligenz." 
„So steht die Lehrerschaft vor großen und schwierigen Aufgaben: denn in der Schule 
liegt der Grund der ganzen Volksbildung. Diese Arbeit kann aber nur der Lehrer leisten, 
der auf seine Fortbildung selbst eifrig bedacht ist." 
„Beim Lehrer ist das Wissen die Macht, mit der er das Volk und die Öffentlichkeit 
beherrscht. Der Lehrer muß hoch über dem Stoff stehen, den er vermitteln 
soll: Fragen aus den verschiedensten Gebieten treten an ihn heran/") 
Sind nicht die allerneuesten Modeblätter wertlos, wenn es an Stoffen und Swirn 
fehlt und was nützt uns die reizendste Kochvorschrift, wenn wir nicht wissen, woher zu 
nehmen? Oder, wie der Volksmund in seiner derben weise sagt: „Was hilft mir eine 
schöne Schüssel, wenn nix drin ist?" 
Die so lärmend angekündigte neuzeitliche „Reform" unserer Volksschule brachte an 
Wirkung nur Mrrung. Das Alte ist nichts mehr wert und das Neue geht uns über die 
Hutschnur. 
Unsere liebe Behörde hatte sich nach dem ersten in der Schulreform unternommenen 
Schrittes ganz selbstzufrieden ins stille Gehäus ihrer geruhsamen verwaltungstätigkeit 
zurückgezogen und höchstens nur mehr an der Verbesserung der Wortlaute ihrer Lehr¬ 
pläne weiter gearbeitet (Gefühlsdildung: 1913); außer den 1914' erschienenen Lehr¬ 
plänen für die Bürgerschulen, die übrigens die Volksschule gar nichts angingen, empfing 
die Lehrerschaft keine weitere Anregung mehr. Wo das ganze ABT gesagt werden sollte, 
genügte der Behörde das 1911 gesprochene 6. Nun sind acht Jahre vergangen, 
in denen trotz des Krieges viel für die Durchführung und den inneren Ausbau der Lehr¬ 
pläne hätte geschehen können? 
x) Seitschr. f. d. österr. Volksschulwesen, 1919, S. 84. 
2) Die Lehrpläne für die deutschen Volksschulen in Böhmen erschienen 1911. für die 
deutschen Bürgerschulen 1914, für die tschechischen Volksschulen 1915.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.