Volltext: 41. Heft 1914/15 (41. Heft 1914/15)

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hervortritt, wenn immer wieder die kaum abgeschlagenen 
Angriffe von dem unentmutigten Gegner wiederholt 
werden, alle errungenen Erfolge die Sache nicht von der 
Stelle bringen und alles immer wieder auf den Aus¬ 
gangspunkt zurückzukehren scheint. Einer solchen Lage 
kann nur eine Armee gerecht werden, der ein ruhiges 
Selbstvertrauen eignet, das in sorgfältig erarbeiteter 
Tüchtigkeit, moralischer Festigkeit, Pflichttreue und Ver¬ 
trauen zur Führung tief verankert ist. Die Größe dieser 
Leistung kann nicht entschieden genug hervorgehoben 
werden. Die Franzosen, von deren militärischer Tüchtig¬ 
keit wir keineswegs gering denken — der deutsche 
Krieger weiß, daß er sich selbst ehrt, wenn er seinen Gegner 
ritterlich anerkennt —, schöpfen ihre Vorzüge aus wesent¬ 
lich anderen seelischen Eigentümlichkeiten, in denen 
Phantasie und Ehrgeiz eine größere Rolle spielen. Es 
läßt sich, bei ihrer Unkenntnis deutschen Wesens, von 
ihrem Standpunkt aus wohl verstehen, daß sie sich 
nicht denken konnten, eine Truppe vermöge derartige 
wiederholte Angriffe, die den schon errungenen Sieg 
immer aufs neue in Frage stellen, ohne innerliche Er¬ 
schöpfung und Zermürbung ertragen. So erklärt sich 
wohl das französische Vorgehen. Um so höher aber 
müssen wir das Verhalten unserer Truppen einschätzen, 
die durch ihre Unermüdlichkeit, die unverdrossene Gleich¬ 
mäßigkeit ihrer heldenmütigen und pflichttreuen Gegen¬ 
wehr die Berechnungen unserer Feinde völlig zuschanden 
machten. Und das nach einem anstrengenden Winter¬ 
feldzug, der allein schon ausgereicht hätte, die Dauer 
dieser aufreibenden Kämpfe jedem weniger moralisch 
gefestigten Heere nahezu unerträglich zu machen. Unsere 
Truppen ließen sich auch durch den scheinbaren Still¬ 
stand der Kriegführung im Westen nicht niederdrücken 
und fühlten mit dem sicheren Instinkt, den die Pflicht¬ 
erfüllung und ein berechtigtes Selbstvertrauen gibt, 
heraus, daß die Hammerschläge, die die Franzosen gegen 
unsere Stellung zu führen vermeinten, diese nur immer 
fester schmiedeten. 
Während die Kämpfe zwischen Maas und Mosel 
im ersten Drittel des April den geschilderten Verlauf 
nahmen, waren die Franzosen auch an anderen Stellen 
ihrer Kampffront nicht müßig. Auch an den beiden 
Flügeln wurde ihre Offensive fühlbar. In Flandern und 
in den Vogesen tobte der Kampf in gleicher Heftigkeit. 
Erschien den Franzosen das Gebiet zwischen Maas und 
Mosel wegen der Nähe des Stützpunktes Verdun und 
wegen der hierdurch und durch sonstige geographische Ver¬ 
hältnisse bedingten Gestaltung der deutschen Front als 
eine besonders geeignete Durchbmchsstelle, so lockten 
Flandern und die Vogesen aus anderen Gründen zur 
Offensive. Ein Erfolg in Flandern, wobei man noch 
dazu die unmittelbare Mitwirkung der Engländer hatte, 
mußte im Laude als erster Schritt zur Befreiung Bel¬ 
giens besonders ermutigend wirken, und was die Vo¬ 
gesen betraf, so konnte man dabei auf die andere volks¬ 
tümliche Befreiungsidee hinweisen, die seit vierundvierzig 
Jahren die bewegliche Phantasie der Franzosen erfüllte, 
die „Befreiung" des Elsaß. Als einen weiteren Grund, 
warum die Franzosen ihre Durchbruchsversuche nicht 
gegen einen einzigen Punkt der deutschen Front richteten, 
darf man wohl die bei ihnen herrschende Vorstellung an¬ 
sehen, daß wir, um mit den Russen fertig zu werden, 
unsere Westfront bis auf ein Mindestmaß geschwächt 
hätten. Unter diesen Umstünden glaubten sie wohl, 
durch gleichzeitige Angriffe cm allen Teilen der Front 
nichts ernstlich aufs Spiel zu setzen, uns aber zu ver¬ 
hindern, größere Kräfte an einem gefährdeten Punkte 
zu vereinigen. 
Die Kämpfe am Merkanal waren ja überhaupt, 
seit dieses Gebiet Kriegsschauplatz geworden war, noch 
nie zur Ruhe oder auch nur zu vorübergehendem Still¬ 
stand gekommen. Beständig wurde hier um jedes Graben¬ 
stück, jede Landstraßenecke, jede Ortschaft gekämpft. Nur 
der Grad der Heftigkeit dieser Kämpfe und der Wechsel 
in der Wahl der Angriffspunkte hebt einzelne dieser Zu¬ 
sammenstöße aus dem Einerlei des furchtbaren Stellungs¬ 
krieges heraus. Mit dem Gedanken der allgemeinen 
französischen Offensive hing es offenbar zusammen, 
wenn in den Ostertagen auch längs des Userkanals ein 
Kampf entbrannte, der einen solchen besonderen Cha¬ 
rakter trug und sich von dem seit vielen Monaten beinahe 
alltäglich gewordenen Ringen wesentlich unterschied. 
Die Franzosen und Engländer wollten endlich einmal 
weiterkommen und setzten besondere Kräfte ein. Es liegt 
in der Natur der Dinge, daß es sich dabei hauptsächlich 
um die vorhandenen Straßenübergänge über den Iser- 
kanal handelte. Wiederholt hatten sich die Angriffe 
schon auf Punkte gerichtet, die zwischen den drei Haupt¬ 
stützpunkten dieses Abschnittes, Wern, Dixmuiden und 
Nieuport, solche Übergänge bezeichnen. In einem der 
Einzelkämpfe, die hier fast an der Tagesordnung waren, 
war von deutscher Seite ein solcher Punkt, an dem eine 
der von Dixmuiden ausgehenden Straßen — und zwar 
eine nach Süden führende — den Kanal überschreitet, 
in unsere Gewalt gebracht worden. Dort liegt auf dem 
westlichen Ufer das kleine Dörfchen Drie Grachten, das 
— an sich so unbedeutend, daß es auch auf mancher guten 
Spezialkarte nicht verzeichnet ist — jetzt während einiger 
Tage der Zankapfel erbitterter Streiter wurde. Am 
3. April war Drie Grachten von unseren Truppen be¬ 
setzt worden; nur wenige Gehöfte tvmben noch von Bel¬ 
giern gehalten. Diese versuchten sogleich Verstärkungen 
heranzuziehen, aber unsere Artillerie verhinderte er¬ 
folgreich ihre Annäherung. Indessen die Belgier ließen 
nicht nach und suchten nun ihrerseits durch Artillerie zu 
wirken. Nach mehrtägigen vergeblichen Versuchen, uns 
aus dem Orte zu verdrängen, wurden am 5, April auch 
die letzten. Gehöfte von den Belgiern geräumt, aber nur, 
um sie desto schärfer und durch nichts mehr behindert 
unter das Feuer der schwersten Geschütze und unter 
Minenwurffeuer zu nehmen. Das Dorf wurde jetzt 
völlig zusammengeschossen und zerstört; es war einst¬ 
weilen nicht mehr möglich, den Ort zu halten, und so 
wurde er denn am 6. April wieder geräumt. Das be¬ 
deutete aber nicht einen Verzicht auf diesen Mergangs- 
punkt des Kanals. Es wurden entsprechende neue Vor¬ 
bereitungen und Anordnungen getroffen, und nach zwei 
Tagen waren die Belgier wieder von dort vertrieben. 
Zwei Offiziere und 100 Mann mit zwei Maschinen¬ 
gewehren fielen dabei in unsere Hände. Es wurde dafür 
gesorgt, daß die Stellung gegen weiteres wirksames 
Artilleriefeuer möglichst gesichert wurde. 
Langwieriger und erbitterter war der Kamps, der 
gleichzeitig weiter nördlich im Bereich von Nieuport ge¬ 
führt wurde. Besonders war der rechte Flügel unserer 
Stellung an der Nordsee dem stärksten Ansturm der ver¬ 
bündeten Engländer und Franzosen ausgesetzt. Wäh¬ 
rend dieser Angriffe wurden die deutschen Küstenstellun¬ 
gen unter das Feuer der englischen Flotte genommen. 
Im Vertrauen auf diese Mitwirkung von der See her 
griffen die Landtruppen der Verbündeten bei Lombart- 
zyde mit der größten Hartnäckigkeit an, aber ihre
	        
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