Volltext: 122. Heft 1914/17 (122. Heft 1914/17)

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Am 6. Dezember erfolgte die Besetzung von Bukarest 
und Ploesei durch unsere Truppen. Die Sprengung 
war gerade rechtzeitig erfolgt, um den Rumänen den 
Rückzug auf der Hauptbahnstrecke empfindlich zu 
stören. E. H. 
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Idylle im Kriege. 
Bon Oskar Ludwig Hardh. 
Fahl dämmert der Morgen. Noch liegt die Wald¬ 
stadt in tiefem Schlummer. Die Blockhäuser, die wie 
Schwalbennester am Abhange des Berges kleben, liegen 
versteckt unter Bäumen, deren Wipfel in den grauen 
Himmel zu ragen scheinen. In der Nacht hat uns der 
Winter überfallen. Die Wege sind verschneit, die Häuser 
haben ein weißes Häubchen aufgesetzt und an den Dach¬ 
rinnen blinken die Eiszapfen. Ich habe nicht die Empfin¬ 
dung, mich nur einige Kilometer hinter der Front zu 
befinden; hier ist alles so friedlich, so sonntagsstill. Ein 
blutroter Streifen geistert durch die Bäume und legt 
fich zitternd auf den Schnee. Die Sonne geht auf und 
rüttelt die Waldstadt aus ihrem Schlaf. Unten im Tale 
kräht ein Hahn, ein an der Kette liegender Hund gibt 
knurrend Antwort. Und dann fallen Türen krachend 
ins Schloß, Eimer klappern, graue Gestalten eilen die 
Treppen hinunter zur Quelle. 
Bald hallt der Wald wider vom Klingen der Axte, 
vom Kreischen der Sägemühle. Zischend und fauchend 
erklimmt das „Argonner Bähnchen" die-Hohe, schafft 
Menschen und Munition bis dicht an die Stellung. 
Lastfuhrwerke, mit Baumstämmen beladen, rasseln die 
Landstraße entlang. Allmählich verliert sich das Hü und 
hott und Peitschenknallen in der Ferne. 
Ich steige hinunter ins Tal. Dort ist man mit dem 
Bau von Unterständen beschäftigt; immer tiefer fressen 
sich die Menschen in die Erde ein. Der Teich, an dem die 
Wäscherei und die Badeanstalt liegen, ist zugefroren. 
Ein Hund tollt auf der spiegelglatten Fläche umher und 
versucht, möglichst schnell ans Ufer zu springen, wenn er 
Hühner sieht, die irgendwo ausgebrochen sind und 
gackernd durch den Schnee stolzieren. 
Mittagszeit. Einzelne Trupps kehren zurück aus 
dem Walde, in dem sie gearbeitet haben. Ein Flieger 
brummt in den Lüften. Aber für ihn ist das unter hohen 
Bäumen versteckt liegende Lager unauffindbar. Schrap¬ 
nells brausen empor und zwingen den Riesenvogel zur 
Umkehr. Dann und wann rauscht es auch über uns wie 
von den Fittichen eines fliegenden Ungeheuers. Eine 
Granate schlägt dumpf polternd int Gruude auf. Die 
Scheiben in den Blockhäusern klirren und die Bäume 
neigen ihre Wipfel, als fürchteten sie sich vor einer 
Riesenfaust, die sich aus dem Walde emporreckt und das 
Idyll zu zertrümmern droht. 
Die Nacht schleicht heran. Im Tale winselt ein 
Hund; sonst ist alles ruhig. Flocken wirbeln herab und 
legen sich wispernd auf die Erde. Uud der Mond wirft 
fahlen Schimmer auf die schlafende Waldstadt, die der 
Schnee einhüllt. 
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Die Hauptsache. 
Die Kompagnie war feuerfest. Sie vertrug schon 
was an englischen Granaten und Schrapnells. Aber so, 
wie's vor Hooge am 25. September 1915 vom Zuaveu- 
und Hammerwäldchen, von Poperinghe und Blamer- 
tinghe zugleich gepfiffen kam, hatte es die Kompagnie 
noch nicht erlebt. Die Kerls hockten in den Unterständen, 
knurrten und rechneten sich her, wo's fast so arg her- 
gegangen war: Bei Ernenne und Lorette, bei Tahure 
und La Bassee. 
Es roch nach Angriff. Doch blieben manche steif 
und fest dabei, es sei wieder nur ein Putsch. Aber alle 
waren sich darin einig, daß ein richtiger Grabensoldat 
an der Schießscharte noch nicht benötigt sei und sich vor 
den englischen fliegenden Nudelhölzern wegzuhalten habe. 
In diesem unerträglichen, die Grabenwände haar¬ 
scharf schneidenden Gewirbel von Geschossen konnte 
man einen einzelnen in seiner schmalen, dünnwandigen 
Schützennische hocken sehen. Den kümmerte nicht das 
Zauchen und Bersten, das ohrenbetäubende Krachen 
und Splittern rings um ihn her. Den Kopf nieder¬ 
gebeugt auf feine Hände, schien er mit angestrengtem 
Blick in einer wichtigen Tätigkeit ganz vertieft. Sein 
Gesicht zeigte jenen mürrischen Ausdruck eines Menschen, 
der aus Bequemlichkeit lange mit üblem Ballast sich 
geschleppt, nun aber die Sache satt bekommen hat und 
sich Luft schafft. Dazu war der Mann nackt bis auf 
die Oberschenkel. Er saß da schon eine Stunde und mehr 
unb schenkte seiner Umgebung nicht die mindeste Auf¬ 
merksamkeit. 
Ein Grabenposten huschte vorüber, stutzte und rief 
dem Nackenden zu: „Biste verrückt geworden bei dem 
Feuer? Mach dich schleunigst ritt in dein Gruppenloch!". 
Der Angerufene hob kaum den Kopf. Er schnäuzte 
sich wegwerfend mit der Hand und sah nur mürrischer 
drein, als er sich wieder über seine Arbeit machte. 
Der Rondeoffizier kam; nicht ganz so hastig wie 
der Wachtposten. Er verhielt bei dem bizarren Anblick 
ein Minütchen, sah sich den sonderbaren Grabeneinsiedel 
mit schmunzelndem Verständnis an, drückte sich wohl 
vor einem zu nahe einschlagenden Blindgänger an die 
vordere Grabenwand, ging aber nicht weg und fragte 
endlich lakonisch: „Muß das grade jetzt sein?". 
Der Musketier hob den Kopf phlegmatisch so hoch, 
als der militärische Respekt erforderte, ließ fein Hemde 
aus den erhobenen Händen sinken und versetzte grämlich: 
„Zu Befehl, bet muß sind, Herr Leutnant!". 
Der Offizier, schon im Gehen, rief ihm über die 
Achsel lachend zu: „Wenn Sie denn schon den Heldentod 
suchen, Sie Gemütsmensch, so können Sie sich das 
Laufen schenken. Also nun mal Schluß und Marsch¬ 
marsch in Ihren Unterstand!" 
Der Musketier, schon wieder über fein Hemde her, 
warf hinterdrein: „Alles der Reihe nach, Herr Leutnant. 
Erst mal de Hauptsache, denn bet Vajnüjen. Eine Wut 
hab’ ick auf dte v «fluchten Lausebiester. Die müssen erst 
'raus, eher jeh' ick nich rin in’t Hemde und bet Gruppen- 
loch “ und blieb. 
Dieser Musketier war der erste, ber mit splitter¬ 
nacktem Leib und flatterndem Hemd laut brüllend aus 
dem Graben sprang und das Gewehr freihändig an die 
Backe riß, als mit der letzten Gruppe aus den Geschütz¬ 
rohren die Kanadier angerannt kamen. • Seine Wut auf 
die Störenfriede feiner erfolgreichen Arbeit war so groß 
daß er, als sein Ladestreifen verschossen war und er 
andere Patronen nicht zur Hand hatte, wie ein Besessener 
um sich schlug, bis die Kameraden ihm zu Hilfe kamen 
und rings Luft schafften. Danach saß er wieder in seiner 
Nische mit demselben mürrischen Ausdruck, bis er fertig 
war und schwerfällig ins Hemde fuhr. Die Kameraden 
dte thn neckten, würdigte er weder eines Blickes noch 
etnes Dankeswortes für die rechtzeitige Hilfe. S
	        
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