Volltext: Ennser Tartschen

GUSTAV STOCKHAMMER, ENNSER TARTSCHEN 
5 
erst nach dem Bekanntwerden ihres vorerwähnten 
an die Hussiten gerichteten Briefes alsBekämpferin 
des Unglaubens erschien, frühestens in der dem 
23.Mai 1430 nächsten Zeit. Diese Annahme recht¬ 
fertigt sich durch die beglaubigte Nachricht, dafs 
Johanna noch bei ihren Lebzeiten auf die 
Bühne gebracht worden ist, und zwar zu Regens¬ 
burg im Jahre 1430, in einem Schauspiele, welches 
von den Hussitenkriegen handelte, und in dem 
auch sie, wenngleich nur in einer Nebenrolle, 
auftrat. 
Hieraus ersieht man, wie schnell sich Johannas 
Ruhm nach Deutschland (und in diesem sehr leicht 
von Regensburg die Donau hinab nach Mauthausen 
und von dort nach Enns usw.) hat verbreiten können, 
und wie gewaltig der Eindruck war, den Johannas 
Wirken auf die durch die Zeitereignisse ohnehin 
erregten Gemüter zu machen vermochte6). 
Wenn aber auch, wie eben gezeigt, diese 
Tartsche (bei Geltenlassen der ersten Annahme 
für die auf ihr ersichtlichen Gestalt) bald nach 
dem 23. Mai 1430 hätte geschaffen werden können, 
so ist dies doch gewifs erst weit später erfolgt, 
wie aus ihrer Beschreibung, die im Zusammenhang 
mit den ergänzenden der zwei Heiligen-Tartschen 
im Nachfolgenden gegeben wird, mit Sicherheit 
zu schliefsen ist. 
Aber auch ein Anderes kommt dabei noch in 
Betracht. Fafst man nämlich den Umstand in das 
Auge, dafs das von Johanna den Hussiten An¬ 
gedrohte nicht zur Ausführung gelangt ist, 
so mufs man sich gestehen, dafs deren Darstellung 
als Drachentöterin wohl nicht gerechtfertigt er¬ 
scheine. Bedenkt man ferner, dafs in den Zeiten, 
in welche die Entstehung der dritten Tartsche fällt, 
die Heiligenfiguren nicht immer mit einem Nimbus 
abgebildet worden sind, und öfter Gewandungen 
zeigen, welche bezüglich der Beinbekleidung an 
die auf der fraglichen Tartsche erinnern, so wird 
man sich im Zusammenhang mit den eben vor¬ 
gebrachten Darlegungen wohl zu der Anschauung 
bekehren lassen, dafs die besprochene Persönlich¬ 
keit überhaupt keine weibliche, sondern eine männ¬ 
liche ist, und den kappadocischen Prinzen versinn¬ 
bildlicht, welcher der Sage nach die Prinzessin 
Aia durch Tötung des sie bedräuenden Lind¬ 
wurmes gerettet hat. Dieser Prinz Georg ist 
aber niemand anderer als der heilige Georg, 
gewöhnlich Ritter St. Georg genannt, dessen 
mädchenhafte Züge auf der Tartsche an jene er¬ 
innern, die von Meistern der besagten Zeit auch 
öfters dem heiligen Michael gegeben wurden, 
dessen Bilder ihn wohl auch ohne Nimbus, dann 
weit öfter mit dem Schwerte als mit der Lanze 
6) Semmig a. a. O. S. 37. 
bewehrt, immer aber mit Flügeln ausgestattet, 
zeigen, wodurch er sich stets von dem heiligen 
Georg unterscheidet. 
Für die Tartsche mit dem heiligen Georg gilt, 
wenn von kleineren, in den Grenzen von Aus¬ 
führungsfehlern sich haltenden Verschiedenheiten 
abgesehen wird, ganz dieselbe Beschreibung, 
die Lenz a. a. O. für die Tartsche mit dem hei¬ 
ligen Michael (vermeintlichen heiligen Georg) ge¬ 
geben hat, mit dem einzigen Unterschiede, dafs 
die Tinkturen der Felder und der auf dieselben 
mittels Schablonen aufgetragenen, durchbrochen 
gemusterten und durch Blumen oder Rosetten 
unterbrochenen Bänder des Schildrandes bei der 
Tartsche mit dem heiligen Georg gegen die bei 
der Tartsche mit dem heiligen Michael geändert, 
und zwar, wie es scheint, verwechselt sind. Die 
Tartsche mit dem Bildnis des Prinzen Georg 
ähnelt in allem, so auch in der Form und in der 
Gröfse den zwei Tartschen mit den Heiligenfiguren, 
und unterscheidet sich von diesen fast nur dadurch, 
dafs bei ihr die Löwen in den Ecken und das 
Schuppenband unter dem Drachen fehlen, der 
Schildrand statt durchbrochen gemusterten, durch 
Blumen und Rosetten unterbrochenen Bändern 
blumige Ornamente aufweist, und endlich auch 
dadurch, dafs die weifse Farbe durch Silber er¬ 
setzt ist. 
Diese Tartsche ist nicht signiert und ihre 
Malerei scheint, abweichendvon den zwei Heiligen- 
Tartschen nach vorgerissenen Konturen von einer 
Hand gemacht, die sich von der des vorher er¬ 
wähnten Künstlers SB (Meissauer?) durch eine 
freiere Linienführung vorteilhaft unterscheidet. 
Was ferner die Beschläge der Rückseiten der 
besprochenen Tartschen anlangt, so sind diese bei 
den zwei Ennser Exemplaren nach Art und Zahl 
gleich, was sich ganz einfach daraus erklärt, dafs 
bei unverändert gebliebenen praktischen Anforde¬ 
rungen die ältere Tartsche mit dem Bilde des 
heiligen Georg als Muster für die jüngere mit dem 
Bilde des Prinzen Georg genommen worden ist. 
Dafs aber auch die St. Petersburger Tartsche in 
dieser Beziehung den obenerwähnten zwei gleichen 
wird, ist sicher anzunehmen, wTenn auch in ihrer 
Beschreibung die Mittel zur Anbringung der seit¬ 
lichen zwei Lederriemen (Nagel in der unteren 
und Kloben in der oberen Partie) entweder ihrer 
Kleinheit wegen, oder weil sie zufällig im Laufe 
der Zeit verloren gegangen sein mögen, nicht 
erwähnt werden. 
Hiernach scheint die Tartsche mit dem Bilde 
des Prinzen Georg viel jünger zu sein als die 
zwei Heiligen-Tartschen. Dazu kommt, dafs bei 
ihr die Löwen in den Ecken fehlen. Dies 
deutet darauf hin, dafs man diese Tartsche in einer
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.