Volltext: Ennser Tartschen

2 
GUSTAV STOCKHAMMER, ENNSER TARTSCHEN 
den heil. Georg zu erblicken haben wird, nur mehr 
ein Schritt. 
Umgekehrt: den Heiligen mit der zum Fähn¬ 
lein ausgebildeten Lanze als den heil. Michael, und 
den mit dem Schwerte als den heil. Georg anzu¬ 
nehmen, geht deshalb wohl nicht gut an, einer¬ 
seits weil der heil. Michael viel öfter mit dem 
Schwerte als mit der Lanze abgebildet erscheint, 
und andererseits weil der heil. Georg als Patron 
der Ritter richtig zu Rofs dargestellt wird (was 
der seit Kaiser Heinrich neugeschaffene Reiter¬ 
dienst verlangte), und er demgemäfs viel ent¬ 
sprechender mit der Lanze als mit dem Schwerte 
bewehrt erscheint. Was besonders das Vorkommen 
der Darstellung des Erzengels Michael auf Waffen 
und auf dem Feldzeichen, „Angelus" genannt2), 
anlangt, so ist dasselbe schon aus dem Grunde 
nicht als überraschend zu bezeichnen, weil man 
ja auch, wie bekannt, beim altdeutschen Schlacht- 
gesange seiner als Herzog (Führer) Michael ge¬ 
dachte, und dessen Name dabei am Ende jeder 
Zeile wiederkehrte. 
Beide Heilige — der heil. Michael als Vor¬ 
kämpfer der Kirche und der heil. Georg alsVer- 
treter des weltlichen Armes — kommen übrigens 
auch sonst manchmal zusammen vor, so z.B. beim 
Isartore der Stadt München. 
Um nun Anhaltspunkte für die Feststellung 
der Entstehungszeit der zwei Heiligen -Tartschen zu 
gewinnen, ist es vor allem nötig, sich die trost¬ 
losen Zustände zu vergegenwärtigen, welche schon 
im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts sowohl in 
Böhmen und seinen Nebenländern als auch in 
Osterreich herrschten, diese Gebiete lange Zeit 
zum Schauplatze greulichster Verwüstung durch 
die aller Menschlichkeit baren Hussitenhorden 
werden liefsen, und so diese Landstrecken an den 
Rand des Abgrundes brachten. Gewifs ist es da die 
Furcht vor den Einfällen der fanatisierten Scharen 
gewesen, der die Bemalung der zwei Tartschen mit 
dem heil. Michael und dem heil, Georg entsprang, 
da in einer Zeit unsäglicher Bedrängnis, wo die 
schützen sollende weltliche Macht sich als zu 
schwach erwies, die der Verzweiflung nahe ge¬ 
brachten Gläubigen sich um Schutz an die himm¬ 
lischen Gewalten wandten. 
Weiter ist des Umstandes zu gedenken, dafs 
in jeder der vier Ecken der zwei Heiligen-Tart¬ 
schen die Gestalt des böhmischen Löwen erblickt 
wird, weil dieses scheinbar dagegen spricht, dafs 
diese Tartschen vor dem Jahre 1437 geschaffen 
worden sein könnten. 
Ich sage scheinbar, weil die bei dem Ennser 
Wappen aller drei Tartschen erfüllte Forderung 
2) Alfred Ritter Anthony von ^iegenfeld, das Landes¬ 
wappen der Steiermark. Graz 1900, S. 14. 
richtiger Tingierung von Figur und Feld bei den 
Löwen der zwei Heiligen-Tartschen nicht erfüllt 
ist, was gewifs Grund genug bildet, das Vor¬ 
handensein böhmischer Wappen auf diesen Tart¬ 
schen in Abrede zu stellen. 
Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dafs 
die Löwen auf diesen zwei Tartschen nicht ledig¬ 
lich als Sinnbilder aufsergewöhnlich starker Wider¬ 
standskraft zu deuten sein werden, wenn es auch 
sicher ist, dafs sie dies in erster Linie auszu¬ 
drücken hatten. Es dürfte vielmehr anzunehmen 
sein, dafs durch die Wahl der Gestalt des böh¬ 
mischen Löwen für dieses Symbol gleichzeitig 
ein Hinweis auf die An wartschaft des von den 
Hussiten unter den Herrschern am bittersten ge- 
hafsten Herzogs Albrecht V. von Osterreich ge¬ 
geben werden sollte. Diese Anwartschaft war 
wohl schon durch die im Jahre 1411 geschehene 
Verlobung Albrechts mit Kaiser Sigismunds Toch¬ 
ter Elisabeth angebahnt worden und gewann 
durch die im April 1422 erfolgte Vermählung festen 
Boden, wurde aber erst durch die am 4. Oktober 
1423 abgegebene feierliche Erklärung des Kaisers 
kodifiziert. 
Erweist sich diese Anschauung als richtig, 
dann müssen die zwei H eiligen-Tartschen indem 
Zeitraum 1423—1437 entstanden sein. In Erwägung 
des Umstandes endlich, dafs schon sehr bald nach 
Beginn des Krieges gegen die Hussiten sich die 
Schwäche der gegen sie gekehrten Waffen deut¬ 
lich gezeigt hatte, dürfte die Annahme gerecht¬ 
fertigt erscheinen, dafs das Anfertigungsjahr der 
zwei Tartschen entweder das Jahr 1423 oder ein 
ihm sehr naheliegendes war. 
Um weiteres zur Feststellung der uns auf der 
dritten Tartsche entgegenblickenden Persönlich¬ 
keit und des Jahres, welchem diese Tartsche ihre 
Entstehung verdankt, zu gelangen, mufs man sich 
vor allem Rechenschaft über die Ursache zu geben 
suchen, aus welcher eine der Heiligenattribute 
entbehrende der Ehre gewürdigt worden ist, mit 
dem heil. Michael und dem heil. Georg sozusagen 
in eine und dieselbe Reihe gestellt zu werden. 
Die Antwort darauf kann selbstverständlich nur 
dahin lauten, dafs die betreffende Persönlichkeit eine 
solche gewesen sein müsse, die durch den Glanz 
überaus erfolgreichen Auftretens für eine gerechte 
Sache den Ruf einer von Gott gesandten sich er¬ 
worben hat, welcher Ruf die weiten Kreise der 
christlichen Welt mit ehrfürchtiger Bewunderung 
der geschehenen Grofstaten und deren Vollbrin- 
gerin erfüllt hat. 
Forscht man nun darnach, auf welche weib¬ 
liche Persönlichkeit des 15. Jahrhunderts, dem er¬ 
sichtlich auch diese Tartsche angehört, die er¬ 
wähnten Bedingungen zutreffen, so ergibt es sich,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.