Volltext: Dur und Moll aus dem Schulleben 1. Bändchen (1. Bändchen / 1918)

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Das Ende der Welk. 
Einer unserer Lehrerbildner, dessen Andenken ich be 
sonders hochhalte, hat uns einmal gesagt, der sei der beste 
Lehrer, der sich recht lebendig in die eigene Kinderzeit 
zurückversetzen könne und ihrem Denken und Fühlen Rech 
nung trage. So oft ich nun meine Kleinen in die geogra 
phischen Grundbegriffe einführe und von den Himmels 
gegenden und dem Horizonte spreche, fällt mir ein, wie 
ich als kleiner Bub keinen sehnlicheren Wunsch hatte, als 
einmal „das Ende der Welt" kennen zu lernen. 
Mein Elternhaus stand auf dem Römerberg in Linz 
unweit der Martinikirche und da beobachtete ich vielmals, 
wie die Sonne über dem Pfennigberg aufging und am 
Abend gegen Ottensheim verschwand. Da und dort war für 
mich: das Ende der Welt. 
Ich mochte nun etwa fünf Jahre alt gewesen sein, als 
eine arme Frau, die in unserem Hause wohnte, mich eines 
Tages einlud, mit ihr auf den Pfennigberg zu gehen, weil 
sie sich dort Holz holen wolle. Wer war froher als ich, als 
meine Eltern mir erlaubten, mit der Frau „bis ans Ende 
der Welt" wandern zu dürfen, und so machten wir uns eines 
Morgens auf den Weg, gingen über die alte, damals noch 
hölzerne Brücke nach Urfahr und dann über Heilham und 
Plesching auf den Pfennigberg. 
Ich konnte gar nicht rasch genug die Spitze des Berges 
erreichen, die damals ganz abgeholzt war, und war nicht 
wenig überrascht, da drüben noch eine andere Welt, voll von 
Bergen und Tälern, zu finden. Weit im Hintergründe sah 
ich eine Kirche und die Frau sagte mir, das fei Wartberg 
und am Fuße des Berges, an der Aist, läge das Haus, 
dem meine Großmutter entstamme. 
„Also dort ist erst das Ende der Welt", dachte ich, 
„da muß ich wohl noch lang warten, bis ich einmal so 
weit gehen kann", und erst einige Jahre später, als uns in 
der Schule der Lehrer auseinandersetzte, daß der Horizont 
die scheinbare Berührungslinie zwischen Himmel und Erde 
sei, da wurde mein kindlicher Glaube zerstört und mit dem 
gehofften Wandern zum „Ende der Welt" wurde es nichts, 
so wenig wie mit mancher anderen kindlichen Einbildung, 
die in der Schule des Lebens unbarmherzig vernichtet 
wurde. 
K
	        
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