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Deutsche Soldaten auf dem Weg zur Grenze. (Nach einer phot. Aufnahme von Hofphot. Franz Tellgmann, Mühlhausen.)
„Mit der größten Beunruhigung höre ich von dem Ein-
druck, den Österreich-Ungarns Vorgehen gegen Serbien in
Deinem Reiche hervorruft. Die skrupellose Agitation, die seit
Jahren in Serbien getrieben worden ist, hat zu dem em-
pörenden Verbrechen geführt, dessen Opfer Erzherzog Franz
Ferdinand geworden ist. Der Geist, der die Serben ihren
eigenen König und seine Gemahlin morden ließ, herrscht heute
noch in jenem Land. Zweifellos wirst Du mit mir darin über-
einstimmen, daß wir beide, Du und ich, sowohl wie alle Sou-
veräne ein gemeinsames Interesse daran haben, darauf zu
bestehen, daß alle diejenigen,
die für den scheußlichen Mord
moralisch verantwortlich sind,
ihre verdiente Strafe erleiden.
Andererseits übersehe ich
keineswegs, wie schwierig es
für Dich und Deine Regie-
rung ist, den Strömungen der
öffentlichen Meinung entgegen-
zutreten. Eingedenk der herz-
liehen Freundschaft, die uns
beide seit langer Zeit mit
festem Band verbindet, setze ich
daher meinen ganzen Einfluß
ein, um Österreich-Ungarn dazu
zu bestimmen, eine offene und
befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich
hoffe zuversichtlich, daß Du
mich in meinen Bemühungen,
alle Schwierigkeiten, die noch
entstehen können, zu beseitigen,
unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und er-
gebener Freund und Vetter
(gez.) Wilhelm."
Darauf erwiderte der
Zar am 29. Juli:
„Ich bin erfreut, daß Du Ein Bauernhaus
zurück in Deutschland bist. In (Provinz
diesem so ernsten Augenblick
bitte ich Dich inständig, mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg
ist an ein schwaches Land erklärt worden, die Entrüstung hier¬
über, die ich völlig teile, ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe
voraus, daß ich sehr bald dem Druck, der auf mich ausgeübt
wird, nicht mehr werde widerstehen können und gezwungen
sein werde. Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege führen
werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer Krieg
sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen unserer
alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu tun, um Deinen
Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu weit zu gehen.
(gez.) Nikolaus."
Der Kaiser entgegnete an demselben Tage:
„Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen
Wunsch nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich —
wie ich Dir in meinem ersten
Telegramm sagte — Österreich-
Ungarns Vorgehen nicht als
einen „schmählichen Krieg" be-
trachten. Österreich - Ungarn
weiß aus Erfahrung, daß Ser-
biens Versprechungen, wenn sie
nur auf dem Papier stehen,
gänzlich unzuverlässig ' sind.
Meiner Ansicht nach ist Oster-
reich-Ungarns Vorgehen als
ein Versuch zu betrachten, volle
Garantie dafür zu erhalten,
daß Serbiens Versprechungen
auch wirklich in die Tat um-
gesetzt werden. In dieser An-
sicht werde ich bestärkt durch
die Erklärung des österreichi-
schen Kabinetts, daß Österreich-
Ungarn keine territorialen Er-
oberungen auf Kosten Ser¬
biens beabsichtigt. Ich meine
daher,' daß es für Rußland
durchaus möglich ist, dem öfter--
reichisch-serbischen Krieg gegen¬
über in der Rolle des Zu-
schauers zu verharren, ohne
Europa in den schrecklichsten
Krieg hineinzuziehen, den es
jemals erlebt hat. Ich glaube,
in Großgörschen. daß eine direkte Verständigung
Sachsen.) zwischen Deiner Regierung und
Wien möglich und wünschens-
wert ist, eine Verständigung, die — wie ich Dir schon tele-
graphierte — meine Regierung mit allen Kräften zu fördern
bemüht ist. Natürlich würden militärische Maßnahmen Ruß-
lands, welche Österreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte,
ein Unglück beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen.
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