Volltext: Nr. 9 1928 (Nr. 9 1928)

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Nachrichten 
Nr. 9 
Jummheit oder Zemagogie. 
Das Ziachdenkcn ist ein Zustand wider die Natur; 
der Mensch, der nachdenkt, ist ein verderbtes Tier. 
Das Nachdenken macht uns ungesund und zur Ge- 
suudheit hat uns die Natur bestimmt. Es ist daher 
die Einfalt kein so großes Unglück. Ein wohltätiges 
Wesen war es, das zuerst einen Bewohner der Ufer 
des Orinoko zu dem Gebrauche führte, die Schläfen 
der Kinder mit Brettern einzuklemmen, die ihnen 
wenigstens einen Teil der Einfalt und des ursprllug- 
liehen Glücks sichern, indem sie ihnen buchstäblich den 
Kopf vernageln. 
Die Richtigkeit dieser Rousseauschen Ansicht haben 
oie Führer des Reichsbundes erkannt. Sie betrachten 
das Nachdenken als einen Zustand wider die Natur. 
Aus ihren Reden und Handlungen geht deutlich dieser 
Schluß hervor. Der Mund plappert, sie wollen aber kei¬ 
nen Zustand wider die Natur, weshalb sie sich mit Nach¬ 
denken nicht beschweren. Sie halten die Einfalt für ein 
Glück (für sie selbst) und ahmen den Gebrauch der Be¬ 
wohner des Orinoko nach, indem sie die Schläfen der 
Neichsbundmitglieder mit Brettern einklemmen und 
ihnen buchstäblich den Kopf vernageln, um sie gesund 
(lies anspruchslos und geduldig bis zum Grabe) zuer- 
halten. 
Den deutlichsten Beweis lieferten die Führer des 
Neichsbundes auf der „Kriegsopfertagung in Graz", 
über die zu berichten Herr Gemeinderat Emil Grinzinger 
geruhte. Er ließ einen Artikel im „Linzer Volksblatt" vom 
Stapel, der zwar lang, dafür aber desto inhaltsloser ist. 
Eine Kunst, die anerkannt werden muß: über nichts und 
von nichts einen eineinhalb Seiten langen Artikel zu 
schreiben. Man weiß nicht, soll man weinen über die Ge¬ 
dankenarmut des Grinzinger, über die Inhaltslosigkeit der 
„Kriegsopfertagung", über die Dummheit derer, die dem 
Reichsbund folgen, oder soll man sich freuen darüber, daß 
Herr Grinzinger so offen ist, die himmelschreiende Dem«- 
gogie, die gähnende Leere in den Köpfen der Reichs- 
bundführer und -Mitglieder aufzuzeigen. Beides dürfte 
wohl am Platze fein. Heber elfteres, weil es unglaublich 
erscheint, daß es Invalide geben kann, die Menschen fol¬ 
gen, deren besonderer höherer Auftrag zu fein scheint, 
mit allen, wenn auch noch so schäbigen Mitteln die ge- 
schlossene Kampflinie der Kriegsopfer zu durchbrechen. 
Eine Art Fliegenfänger wird ausgelegt (Holz, Kohle, 
Weihnachtsgeschenk), die Menschen durch den süßen Ho- 
niggeruck anzulocken, wo sie dann kleben bleiben und 
elend zu Grunde gehen. 
Nicht private Wohltätigkeit, nicht Spenden dürfen 
die Kriegsopfer in eine Organisation locken, sondern das 
Bewußtsein, daß im Kampf ihre Zukunft, im Kampfe 
die Art und der Umfang ihrer Versorgung liegt. 
Der Zentralverband und feine Landesverbände haben 
es stets als ihre wichtige Aufgabe betrachtet und sich ein 
großes diesbezügliches Programm geschaffen, den Kamp- 
fesmut zu heben, die Mitglieder au lehren, daß in der 
Einheit die Kraft liegt, die Gesellschaft, den Staat zur 
Erfüllung der Versprechungen von 1914 bis 1918 zu 
veranlassen. Eben deshalb der Kampf gegen den Zentral- 
verband, eben deshalb die Versuche, den Zentralverband 
und seine Landesverbände in der Öffentlichkeit in Mi߬ 
kredit zu bringen! 
Der Krieg ist vorüber, ein Jahrzehnt liegt seit seiner 
Beendigung und der Gegenwart inzwischen. Die Gesell- 
schaft hat keine Veranlassung mehr, den Kampfesmut 
anzuspornen, zum Durchhalten bis zum Siege aufzu- 
rufen. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, er kann 
gehen. Und so wie ein alter Arbeiter, der durch Jahr- 
zehnte seine Arbeitskraft, feine einzige Aktivpost, dem 
Arbeitgeber verkauft, dann, wenn er ausgerackert und 
daher nicht mehr in der Lage ist, Mehrwert zu schaffen, 
zur Seite gestellt, unter das wertlose alte Eisen geworfen 
wird, so ergeht es den „lieben Helden", die nicht mehr 
ihre volle Kraft in den Dienst der Allgemeinheit stellen 
können: Keine Spur von Dank und Anerkennung, wert- 
loses Altmaterial! 
Der Reichsbund lehnt den Kampf ab! Allerdings nur 
den Kampf um die Verbesserung der wirtschaftlichen und 
sozialen Lage gegen die Regierung. Aus Parteidisziplin. 
Dafür führt er einen Kampf gegen Wien, Linz, Graz 
usw., kurz gegen alle Stellen, in denen die „Antimarxi- 
sten" in der Minderheit sind und macht diese für die 
schlechte Versorgung verantwortlich. Das ist eben mög- 
lich, weil seine Mitglieder Orinokokinder sind, denen der 
Kopf buchstäblich vernagelt wurde, um gesund zu blei- 
ben. 
Es ist eine alte Tatsache, daß eine Organisation, die 
sich der Wohlgesinnung und Unterstützung ihres Wider- 
parts erfreut, auf den Mist gehört, denn sie hat aufge- 
hört, eine Interessenvertretung zu sein. Sie muß, will 
sie ein Förderer der Interessen ihrer Mitglieder sein, im 
schärfsten Gegensatze stehen, denn: Ohne Kampf kein 
Sieg! 
Wenn aber gar Abgeordnete einer Regierung, der 
der Abbau der Sozialpolitik geradezu ein Herzenbedürf- 
nis geworden ist, überall die führenden Personen sind, 
Abgeordnete, die selbst gegen jede Verbesserung der Ge¬ 
setze, ja selbst gegen die Forderung (?) ihrer eigenen Or- 
ganifation stimmen, dann ist der Beweis einwandfrei ge- 
liefert, daß es dieser Vereinigung nicht im mindesten 
ernst ist, auch mit der Regierung, auch mit den eigenen 
Führern, „ernst" zu reden. Demagogie, Verrat sind die 
Programmpunkte des Reichsbundes der Kriegsopfer. 
Auch der Zentralverband und feine Landesverbände 
wollen das Einvernehmen mit allen politischen Par- 
teien, auch sie haben sich stets und in allen Frc>"»n ' ->d 
zu allen Zeiten an die politischen Parteien, soserne sie 
in den in Betracht kommenden Körperschaften vertreten 
sind, gewendet, haben es stets vermieden, sich nur an e i n e 
Partei zu wenden, oder gar sick einer Partei vollständig 
zu unterwerfen, wie dies der Reichsbund getan hat. In 
der Erkenntnis, daß die Versorgung der Krieg«opser 
nicht Parteisache, sondern Staatsaufgabe fein muß, hat 
der Zentralverband feine Tätigkeit mit Erfolg durch ein 
Jahrzehnt entfaltet, ist groß geworden und wird es auch 
weiterhin fo halten. 
Alle Versuche, die Kriegsopfer zu verraten, sie für 
politische Parteien zu mißbrauchen, müssen an der W " r- 
heit zerschellen, möge wer immer einen Kampf gegen die 
im Zentralverband vereinigten Landesverbände ent- 
fachen. 
Dummheit, gepaart mit Demagogie, werden nicht im- 
stände fein, das auf Felsen gebaute Gefü^e des T; '"f 
Verbandes zu erschüttern, denn die Invalidenschaft hat 
erkannt, daß er den Weg gefunden hat, daß er den Weg 
geht, der allein zum Ziele führt, zu einer besseren Ber- 
sorgung. Die wenigen aber, die aus welch Gründen (mei- 
stens sind es nicht die schönsten) zum Reichsbunde oder zu 
einer anderen Organisation gefunden haben, werden nicht 
imstande sein, die Welle aufzufangen, die die Brandung 
verursacht, die mit elementarer Gewalt, wenn auch lang- 
sam, so doch sicher über die hemmenden Klippen hinweg 
den Weg ins Freie findet. 
Es lebe der Zentralverband, es lebe die Einigkeit der 
gesamten Kriegsopfer, es lebe der Kampf um die Per- 
befferung der sozialpolitischen Gesetze für die Kriegs- 
opfer! F. 
Werbet Mtilied r! Rüstet zum Kampfe für die X. Novelle!
	        
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