Volltext: Die gelbe Maske [310/311]

Brigida folgte ihr, schlang einen Arm um ihren Hals und 
küßte sie auf die Wange. „Wir wollen Freunde sein,“ sagte sie. 
„Freunde!“ wiederholte Mademoiselle Virginie. „Und nun 
an die Arbeit,“ fuhr sie fort und steckte eine Reihe Stecknadeln 
zwischen die Zähne, um sie zum Gebrauch bereit zu haben. „Ich 
hbin, glaube ich, hiehergerufen worden, um die frühere Zu— 
schneidevin, die sich als Konkurrentin niedergelassen hat, zu 
ruinieren Gut! Ich werde sie ruinieren. Breite, bitte, den 
gelben Brokat aus und nadle dort auf deiner Seite den Schnitt 
in, während ich ihn hier anstecke. Und was für Pläne hast du 
jetzt, Brigida? Du wirst doch nicht dein ganges Leben lang hier 
bleiben wollen ? (Bitte, laß rings um den Schnitt einen un—⸗ 
gefähr zollbreiten Rand stehen.) Du mußt doch irgendwelche 
Pläne haben. Erzähle, bitte!“ JJ — 
„Schau meine Gestalt an,“ sagte Brigida und stellte sich 
mitten im Zimmer in Positur. 
„Achl!“ fiel die andere ein, „nicht mehr das, was sie einst 
war. Zuviel des Guten. Du brauchtest eine Diät, viel Bewegung 
und ein französisches Mieder,“ murmelte Mademoiselle Virginie 
durch ihre Movaux de friss von Stecknadeln. 
„Machte die Göttin Minerva viel Bewegung, und trug sie 
ein französisches Mieder? Ich glaubte, sie sei auf Wolken dahin⸗ 
gefahren und habe zu einer Zeit gelebt, da die Taille noch nicht 
erfunden war “·· 
„Was meinst du?“ 
5Folgendes: daß ich augenblicklich die Absicht habe, den 
Versuch zu wagen, ob ich vielleicht damit mein Glück machen 
kann, daß ich im Atelier des bester Bildhauers von Pisa für 
eine Minerva Modell sitze.“ I *2. 
„Wer ist der Meister? Gitte, wickle mir ein oder zwei 
Ellen von dieser schwarzen Borte dort ab.)“ — 
„Der berühmte Bildhauer Luca Lomi — eine alte Familie, 
einst fehr angesehen, aber jetzt hevabgekommen. Der Meister ist 
gezwungen, Statuen zu machen, um für sich und seine Tochter 
den Lebensunterhalt zu verdienen.“ 
„Bitte, noch ein Stück Borte — oben zweimal um das 
ganze Kleid herum. Und wie willst du als Modell dieses armen 
Bildhauers dein Glück machen?“ — 
„Warte einen Augenblick. Es sind nämlich außer ihm noch 
andere Bildhauer in seinem Atelier beschäftigt. Erstens sein 
Bruder, der Priester — Vater Rocco —, der seine ganze freie Zeit 
bei dem Meister verbringt. Er ist in seiner Art ein guter Bild⸗ 
hauer, hat Statuen entworfen und einen Brunnen für seine Kirche 
demacht; er ist ein frommer Mann und widmet alle seine 
künstlerischen Arbeiten der heiligen Sache.“—
	        
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