Volltext: Der Jugendrotkreuz-Kurs in St. Martin

um so seinen eigenen Bestand zu sichern. Die staatliche Gewalt gelangt so zu bestimmten 
Forderungen an die Schule, als eine seiner Einrichtungen. Der Schule erwächst eine 
doppelte Funktion: Sie steht nicht nur im Dienste des Individuums, sondern auch im 
Dienste der menschlichen Gesellschaft, an deren ständiger Erneuerung sie mitwirkt. 
Sicher ist, daß die tiefen Umwandlungen im Wirtschaftsleben (Dampfkraft) einen 
bedeutenden und nachhaltigen Einfluß auf die Schichtung der Bevölkerung im Rahmen 
des Staates ausübten und durch die Differenzierung der Arbeit auch zu einer äußeren 
Umgestaltung der Lebenshaltung und damit zu einer weiteren Individualisierung der 
ursprünglich einheitlichen Schichten führten. Ebenso gewiß aber ist, daß diese Umwandlungen 
des Wirtschaftslebens, die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen des einzelnen 
und die Erschwerung des Daseinskampfes für den einzelnen nicht ohne Einfluß auf die 
Schulgestaltung bleiben konnten. Die Ausbildung des Berufserziehertums ist der schlag 
kräftigste Beweis dafür, daß die Familie, die ursprünglich nicht nur die Erziehung, 
sondern auch den Unterricht und die Ausbildung der Jugend für den Daseinskampf 
übernommen hatte, diesen sich immer mehr steigernden Ansprüchen kaum mehr gerecht 
werden konnte und die Unterweisung, die Instruktion, dem berufsmäßigen Erziehertum 
überlassen mußte. Im 19. Jahrhundert verengte sich der Aufgabenkreis der Schule 
immer mehr in der Richtung der bloßen Belehrung und Unterweisung, sie wurde 
Lernschule, die die Jugend mit Kenntnissen und Fertigkeiten auszustatten hatte. Der 
Bildungsmaterialismus konnte so ein Bildungsideal aufstellen, das etwa in dem Schlag 
wort: „Wissen ist Macht" am schärfsten charakterisiert erscheint, und einen egoistisch 
gerichteten Intellektualismus hochzüchtete, der innerhalb der staatlichen Gemeinschaft eine 
Trennung zwischen Unwissenden und möglichst viel Wissenden herbeiführte, damit zu 
jenen Spannungen innerhalb der staatlichen Gemeinschaft führend, deren Gefahren 
für den Bestand der staatlichen Organisation in den letzten Jahrzenten des 19. Jahr 
hunderts erkannt wurden. Durch Popularisierung der Wissenschaft wollte man den 
Abstand zwischen den gebildeten und ungebildeten Schichten verringern. Es ist ebenso 
, daß die Anstöße zu den nach Kriegsschluß in vollen Fluß gelangenden 
Veirreoungen nach einer Umgestaltung der Schule gerade aus der Jugend kamen, die 
erkannt hatte, daß die Schule in ihrer engen Einstellung lebensfremd geworden war und 
der Jugend vor allem nicht das bieten konnte, was sie im Hinblick auf ihr Leben als 
Bürger des Staates brauchte. Die Probleme des staatlichen Zusammenlebens sind so 
schwierig und verwickelt geworden, daß sie — wie Foerster sagt — „nicht mehr durch die 
bloße grobe Mechanik des Daseinskampfes, sondern nur noch mit Hilfe der höchsten 
sittlichen Kräfte gelöst werden können", und daß es gilt, das „Chaos im Menschen zu 
organisieren", da ja immer mehr der einzelne Mensch zum Träger der staatlichen Idee 
werden muß, soll sich das staatliche Leben den Bedürfnissen der Menschen anpassen. Der 
letzte Sinn der in Fluß befindlichen Schulerneuerungsbestrebungen, die durch die staatliche 
Umwälzung im Jahre 1918 mächtige Auftriebskräfte bekamen, ist wohl der, an dem 
Aufbau einer neuen Gemeinschaft zu wirken und einen Zustand im Rahmen der 
Gesellschaft zu überwinden, in dem jeder für sich und gegen alle sich in Spannung befindet 
(Tönnies). Die staatliche Umwälzung brachte uns den Volksstaat, die demokratische 
Republik. Die Staatsbürger jedoch müssen erst im Geiste der demokratischen Republik 
herangebildet werden. Der Volksstaat setzt die Teilnahme des einzelnen an seinem Aufbau 
und Ausbau voraus. Er beruht geradezu auf der inneren Bejahung des einzelnen. Er 
hat sein größtes Interesse daran, die Masse zum Verantwortlichkeitsbewußtsein zu 
erwecken, um eine innerlich reich gegliederte, aber auch organisch verbundene Volks 
gemeinschaft zu schaffen.
	        
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