Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

kulturellen Vereine im Sinne des § 9 des Gesetzes 
vom 5. November 1867 ihr Statut. 
Der von Lengsfelder ins Leben gerufene F. V. Bik- 
hur Cholim" wurde vom Rb. Schidlof in einen F. V. 
Talmud Tora" umgewandelt. Der jeweilige Rabbiner 
hatte bei Sterbefällen während des Trauermonates 
Tempel (Außenansicht) 
täglich und an Jahrzeit tagen einen Miischnaabschnitt 
für ein verstorbenes Mitglied zu lesen2'). 
Die starke Zuwanderung aus den umliegenden 
Gemeinden bewirkte ein Überwiegen dieser Elemente, 
welches zu verschiedenen unliebsamen Komplikatio 
nen führte. Ein Teil der Bodenständigen glaubte sich 
gewisse Vorrechte aneignen zu dürfen, was die ande¬ 
ren nicht einzusehen vermochten, dies umso weniger, 
als sie überhaupt besser situiert waren. Es kam zu 
Prozessen verschiedener Art, die bei den Verwaltungs¬ 
und Gerichtsbehörden anhängig gemacht und bis zur 
höchsten Instanz durchgeführt wurden. Sogar der alt- 
ehrwürdige Tempel mußte als Streitobjekt dienen, was 
für die K. G. besonders bedenklich war, da derselbe 
tatsächlich weder in sicherheitlicher noch in sanitärer 
Beziehung den Anforderungen entsprach. 
Der Tempel hatte keinen eigenen Zugang. An der 
Südseite war er mit der Stadtmauer verbunden, an der 
Nordseite mit dem HNr. 517 und von der Ost- und 
Westseite von den Häusern Nr. 516 und 518 einge¬ 
schlossen. Der Zugang führte durch den Hausflur des 
Hauses Nr. 617 und ein Teilbesitzer verlegte aus Bos¬ 
heit diesen Zugang mit Brennholz, was zu einem Rat¬ 
tenschwanz von Prozessen führte28). 
Im August des J. 1895 feierte die K. G. das seltene 
Fest des 40 jährigen Dienstjubiläums ihreis Rb. „Isak 
Schidlofder bis zu seinem, am 12. November 1898 
im 81. Lebensjahre erfolgten Tode in der K. G. 
wirkte 29). 
Im J. 1896 konstituierte sich die K. G. im Sinne des 
Gesetzes vom 21. März 1890, R. G. Bl. Nr. 57, bei wel¬ 
cher Gelegenheit die Gemeinden Tissa mit Tempel, 
Schönwald mit Tempel und Langendörflas 
mit Tempel und Friedhof der K. G. T. zugeteilt wur¬ 
den. Der erste K. V. nach dem neuen Statut war Josef 
Adler. 
Im Feber 1899 trat Rb. Dr. Moses Wohl seine 
Stelle als Seelsorger in T. an. 
Im J. 1900 zählte die K. G. 59 Familien mit 310 
Seelen. 
Am 28. April 1911 brach ein Feuer aus, das sämt¬ 
liche Judenhäuser nebst dem Tempel vernichtete. 
Diese Judenhäuser waren schon zum großen Teile von 
Nichtjuden bewohnt, aber immerhin noch im Besitze 
von Juden30). 
Von diesem Brande erholte sich die Judengasse 
nicht mehr. 
Mit der ihm eigenen Tatkraft und Energie nahm 
der damalige K. V. Sigmund S t r a u s is alle Maßnah¬ 
men wahr, um in das Chaos Ordnung zu bringen. Ein 
Gasthaussaal wurde gemietet und eingerichtet, wo der 
Gotteisdienst abgehalten werden konnte, eine Hilfs¬ 
aktion in großem Maßstabe eingeleitet, wozu sich alle 
Mitglieder der K. G. zur Verfügung stellten und dank 
dieser Maßnahmen konnte bereits am 2. Dezember 
desselben Jahres der Grundstein für den neuen Tem¬ 
pel gelegt werden. 
In den Grundstein wurde eine in hebräischer Spra¬ 
che auf Pergament geschriebene W idmungsurkunde 
versenkt31). 
Die detailliert ausgearbeiteten Pläne stellte Pro¬ 
fessor Dr. Ing. Alfred Grotte, Architekt in Posen, 
unentgeltlich zur Verfügung. 
Am 2. September 1912 konnte bereits der neue 
Tempel eingeweiht und an den folgenden hohen Feier¬ 
tagen der Gottesdienst abgehalten werden 32). 
Der Weltkrieg hat auch die K. G. T. vor große Auf¬ 
gaben gestellt. 
An 3000 Flüchtlinge, die aller Mittel bar und von 
der Reise zu Tode erschöpft ankamen, mußten ver¬ 
sorgt werden. 
Unter der Leitung des K. V. Dr. L u r j e bildete 
sich ein Flüchtlingskomitee, welches sich alle Mühe 
nahm, die Not und das Elend unter den Flüchtlingen 
einigermaßen zu lindern. 
Von der kleinen, kaum 300 Seelen zählenden K. G. 
hat der Weltkrieg auch viele Opfer gefordert: 
Schmid Wilhelm, geb. am 8. März 1881, als 
Leutnant gefallen bei Woljevo in Serbien am 25. No¬ 
vember 1914. 
L an g schür Hugo, geb. am 25. Juni 1888, gest. 
an der Ruhr in Ungvar am 25. September 1914. 
Steiner Emil, geb. 19. Juni 1888,' gefallen bei 
Tolmein in Italien am 17. März 1915. 
Gedenktafel 
L ö w y Max, geb. am 10. April 1890, gefallen bei 
Jezierna in Galizien am 14. Oktober 1915. 
Wessi Ernst, geb. am 7. Feber 1897, gefallen als 
Leutnant bei Konjuki in Galizien am 1. Juli 1917. 
Neubauer Alfred, geb. 14. April 1887, gest. an 
der Ruhr am 13. Feber 1917 in Koloschvar. 
Tachan G 
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