Volltext: Die Waise von Ybbsthal

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Es war zu Ende des Monats Februar an einem 
Sonntage, als Luise mit Frau Martha, wie gewöhnlich, in 
die Pfarrkirche gieng. Als nun die Beiden, nachdem Predigt 
und Amt zu Ende waren, das Gotteshaus verlassen hatten 
und auf den großen Platz vor der Kirche hinauskamen, da, 
sahen sie eine ungeheure Menschenmenge angesammelt, welche 
sich um ein Tribunal drängte, auf welchem ein höherer 
französischer Offizier saß, umgeben von anderen Offizieren 
und dem Stadtrichter. Vor dem Tribunale stand eine Frau, 
und ihr zur Seite zwei Soldaten. Frau Martha wollte 
mit Luise rasch an dem Menschenknäuel vorübergehen, aber 
die letztere war plötzlich stehen geblieben und sah mit er¬ 
stauntem Blicke nach dem französischen Offizier, der auf 
seinem erhöhten Sitze über die Menge emporragte. 
„Da seht, Frau Martha," sagte Luise, ihre Begleiterin 
zurückhaltend, „dort ist der Herr Oberst, von dem ich Euch 
so viel erzählt habe." 
„Der Mann dort auf der Tribüne?" fragte Martha. 
„Ja, derselbe, ich kenne ihn genau." 
Luise hatte Recht; es war Oberst Lormand. Er war 
mit seinem Regimente in Waidhofen geblieben und, wie 
Luise später erfuhr, durch einige Wochen an einer noch nicht 
völlig geheilten Wunde krank gelegen. Heute nun saß Oberst 
Lormand als Richter auf dem Tribunale, sein Blick war 
finster und drohend, wie man ihn sonst vielleicht an dem 
Manne nicht gewohnt sein mochte. 
Indessen hatten Luise und Frau Martha, dem Zuge 
der Neugierde folgend, sich einen Weg durch die Menge 
gebahnt und möglichst nahe an die Schranken der Tribüne 
sich vorgedrängt. Da aber faßte Luise plötzlich krampfhaft
	        
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