Volltext: Die Waise von Ybbsthal

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O ich bin ein recht armes Kind! Aber ich will dennoch nicht 
verzagen, mein Schutzengelein wird mich nicht verlassen und 
mich zu guten Menschen führen, die Mitleid mit mir haben 
und sich meiner erbarmen werden." — Sie wischte sich die 
Thränen aus. den Augen, hüllte sich, so gut sie konnte, in 
ihr Tuch ein und sah noch eine Weile den thaleinwärts 
ziehenden Reitern nach. Endlich war ein Gedanke in ihrer 
Seele aufgestiegen, der sie aus ihrer Unschlüssigkeit, wohin 
sie ihre Schritte lenken solle, herausriß. 
Sie dachte nämlich an die Möglichkeit, daß sie noch¬ 
mals von den Feinden könnte aufgegriffen werden und dann 
vielleicht noch mehr zu leiden haben würde, als ihr heute 
schon widerfahren. Ihr letzter Schutz, so dachte sie, wäre 
wol gewiß der freundliche Oberst, wenn es sich nämlich um 
Mißhandlung von Seite der feindlichen Soldaten handeln 
sollte. Auf die Theilnahme und Barmherzigkeit ihrer Lands¬ 
leute glaubte sie jetzt kaum hoffen zu dürfen; so viel konnte 
sie aus den Mienen aller schließen, denen sie heute begegnet 
war. Luise faßte also in ihrer gänzlichen Verlassenheit den 
Entschluß, der Truppenabtheilung des ihr so gut gesinnten 
Oberst zu folgen, wohin der Weg auch führen würde. 
Uebrigens war kein Zweifel, daß das nächste Ziel der fran¬ 
zösischen Kriegerschaaren die Stadt Waidhofen wäre, welche 
ja nicht weit von hier entfernt lag. 
Für das todtmüde, von Hunger und Kälte erschöpfte 
Mädchen war indes der Marsch ein höchst beschwerlicher. 
Sie blieb bald weit hinter den Reitern zurück, obwol diese 
auf ihren ebenfalls ermüdeten Pferden nur langsam auf der 
Straße dahinritten, und nicht lange dauerte es, so waren sie 
ihren Blicken gänzlich entschwunden. Hinter sich schauend
	        
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