Volltext: Linzer Hessen

russische flufsichtsunteroffiziere so weit, den Zerren die fluf- 
schiäge und Metallknöpse sowie fichselspangen vom Leib 
zu reißen, denn als höchstes Prinzip galt — entehren und 
erniedrigen. 
So ging's auch in krasnaja-Rjetschka weiter, wiederholt 
wurden wir bei lag und Nacht mit Visitierungen unserer Hab- 
seligkeiten und Leibesvisiten übersallen, wobei eine INeute 
russischer Unteroffiziere aus uns losgelassen wurde, die alles 
mitgehen ließen, was ihnen gefiel, findenden und gekaufte 
Segenstände böswillig zerbrachen und uns am ganzen Leibe 
abgriffen und pöbeiliast duzten, Hiebei kam es zu Szenen, wo 
Herren, die sich gegen diese Behandlung auflehnten, von 
russischen Offizieren mit dem Revolver bedroht wurden: auch 
erschien der visitierende Offizier gewöhnlich mit der Nagaika 
speitsche). 
Line entsprechende Vorstellung beim Kommando hatte nur 
den Erfolg, daß der betreffende Veschwerdesührer auf g bis 
14 läge — ohne jedwede Untersuchung — in einem total 
verwanzten Rlannschastsarrest verschwand und niemand zu 
ihm Zutritt hatte. 
wir wurden nach den ersten Lluchtversuchen schließlich mit 
einer drei Meter hohen Planke umgeben, wer sich der Planke 
aus vier Schritte näherte, wurde vom Posten angeschossen. Vie 
russische Vewachungsmannschast — absichtlich verhehl — 
kühlte sich oft ihr Mütchen, indem sie einfach vorübergehende 
Offiziere mit dem Kolben oder mit Ohrfeigen traktierte. 
Segen all das war man machtlos. 
Vaß unter diesen Umständen die Verven der Herren aus 
das fürchterlichste hergenommen wurden, braucht nicht erst 
besonders geschildert zu werden. Voraus entwickelte sich aber 
eine Sereiztheit untereinander, daß es leider oft zu den be¬ 
dauernswertesten flustritten, ja zu lätlichkeiten kam, die in 
ihren Lolgen die Sefangenschast zur Hölle machten. 
flber wie der Hund sich an die Prügel gewähnt, so war's 
schließlich mit uns. Zeder lag brachte neue Repressalien, denen 
gegenüber man ganz apathisch wurde. Lin stumpfes Sefühl der 
Verzweiflung bemächtigte sich meiner und ich fühlte wohl auch, 
daß ich unter diesen Verhältnissen zugrunde gehen werde. Zm 
Semüt erschüttert, wäre in kurzer Zeit auch mein Körper zu¬ 
sammengebrochen und ich muß gestehen, daß ich schließlich off 
am Rande der Verzweiflung an Selbstmord dachte, um diesem 
Zustand ein Lnde zu machen. 
va kam wie eine Lügung des Schicksals der Znvaliden- 
austausch. weil ich schon einen Lungenkatarrh und eine Rip¬ 
penfellentzündung überstanden hatte, meldete ich mich im 
Mär; zu einer tagenden Znvalidenkommission, die mich schlie߬ 
lich als Sanzinvaliden zum fibfchub in die Heimat beantragte. 
flber Sott lenkt und die Russen denken! kaum waren wir 
in Vikolsk-Ussurisk zum flbtransport eingetroffen, als auch 
schon die damals zur Herrschaft gelangten Bolschewiken er¬ 
schienen und den ganzen fiustauschtransport aufhielten. 
Port warf man 120 fiustauschinvalide wieder in ein ausge¬ 
lassenes Spital und die Semeinheiten begannen von neuem. 
Meine wiederholten Sesuche im Wege der schwedischen Rele¬ 
gierten vom Roten kreuz blieben erfolglos, die Kommissions¬ 
befunde von krasnaja-Rjetschka wurden nicht gesendet und 
ohne Vumagi spapierej kann in Rußland nichts vor sich 
gehen. 
So brachte ich es schließlich durch die hervorragende Ver¬ 
pflegung auch noch zu einer vgsenterie. vom Spitale in 
Vikolsk-Ussurisk wurde ich noch einmal einer Kommission 
vorgestellt, die mich im Vovember 191? wieder als Invaliden 
in die sjeimat abschob. Vach einer abenteuerlichen Lahrt 
durch ganz Sibirien erreichte ich endlich Moskau und Peters¬ 
burg, wo überall die Hellen LIammen des fiufruhrs loderten 
und in der Weihnachtsnacht des Zahres 191? gingen wir 
über Linnland und Schweden nach Österreich ab. 
was ich unter den schrecklichen, jahrelangen kindrücken an 
flngenehmem behalten habe, ist fast vull, denn der Seist war 
immer derart von den bösen Ereignissen hergenommen, daß 
er die Schönheiten der Landschaft kaum fassen konnte. Zn 
lebhafter krinnerung stehen mir wohl die kindrücke der 
wunderschönen Sonnenuntergänge der sibirischen kbene, eine 
flammende Pracht, die zu schildern schwer fällt. Vie Unend¬ 
lichkeit der russischen Llächen, die tote oft viele Meilen sich 
erstreckende düstere Landschaft mit ihren abgebrannten, mo¬ 
rastigen Virkenwaidungen, umglüht von dem brennenden Rot 
der sinkenden Sonne, hat oft einen überwältigenden kindruck 
in uns erzeugt, der allerdings nichts zur Linderung der 
Sehnsucht nach unseren Heimatsbergen beitrug. 
"Diese endlosen kbenen, oft von Herden zahlloser Rinder, 
Pferde, Büffel und im Osten auch von Kamelen belebt, be¬ 
wiesen den unerschöpflichen Reichtum Sibiriens. 
was man beim Vurchqueren beiderseits der sibirischen 
Bahn sieht, ist ja schließlich nur ein verschwindender Teil 
dieser Räume, die eine zehnfache Bevölkerung ernähren 
könnten, flber solange dieses Land ein solch träges, gleich¬ 
gültiges Volk beherbergt, das kaum den Pflug in den Boden 
seht, um sein Brot zu bauen, bleibt Sibirien zwar urtümlich 
aber unberührt von der Kultur, wie das Volk, das es bewohnt. 
Voch all das Interessante, was Land und Leute boten, 
konnte mich mit meinem Schicksale — ..gefangen zu sein" 
— nicht versöhnen. 
vie Liebe zur Heimat und die fortglimmende Hoffnung, 
Lamilie und Regiment doch einmal wiederzusehen, schufen den 
willen zum Leben und gaben mir die Kraft, dreieinhalb Zahre 
auf die krlösung zu warten und das zermürbte Semüt und 
den verfallenen Körper immer wieder aufzurichten?) 
wajor Ludwig v. Kirchner schreibt: 
Vie Umstände meiner Vefangennalime 
flm Vormittage des ?. September 1914 stand das Regi¬ 
ment bei Wichalöwka sän der Straße Uhnöw—Rawaruska) 
im Kampfe mit dem Segner. Bort geriet ich verwundet in 
Sefangenschast. 
Vas erste was die Russen taten, war eine gründliche flus- 
plünderung. Unter dem Titel „visitierung", nahmen sie alles 
was wir an Wertgegenständen hatten ab. fluf einigen 
russischen Sanitätsfuhrwerken wurden nur die Schweroer- 
wundeten verladen, alles andere mußte in dreistündigem Luß- 
marsche in die nächstgelegene russische Sanitötsanstalt wan¬ 
dern, wo wir die vacht zubrachten. Vach weiterer dreitägiger 
wagenfahrt auf Landesfuhrwerken elendster flrt erreichten 
wir die kisenbahnstation Krasne. Lür eine Verpflegung wurde 
unterwegs nicht gesorgt und wir mußten uns diese bei den 
russischen Soldaten und bei der Bevölkerung erbetteln. 
Zm Spital m Kiew und Moskau. Neise nach Sibirien 
Von Krasne wurden wir in dreitägiger endloser Lisen- 
bahnfahrt nach Kiew gebracht, wo sich im varnisonsspitale 
schon lausende von verwundeten und kranken Kriegsgefan¬ 
genen befanden. 
Vie spitalsmäßige Vehandlung und Verpflegung war 
freilich nicht nach unseren Vegriffen, aber nach dem was 
wir später in dieser Veziehung in Vußland erlebten, war es 
dort noch ganz hervorragend gut. 
*] Dem fjerrn Obersten Dichard lenner war es nicht lange 
beschieden, Fjeimatluft zu atmen. 
Die letzten Kräfte seines in der sibirischen Defangenschaft siech 
gewordenen Körpers verbrauchte er, um, in schwerer phgsischer 
flrbeit, seiner Lamilie in Vöcklabruck ein keim zu schaffen, knapp 
vor der Erfüllung dieses langgehegten und heißen Wunsches ereilte 
diesen herzensguten, edelgesinnten Offizier, am 13. März 1920, der 
lod.
	        
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