Volltext: Linzer Hessen

kleines Bauernhaus. Bit Ortschaft Wasilew wurde am 
ZL. fingest 1914, es war ein Sonntag, vollständig nieder¬ 
gebrannt. 
wir vom 1. Baon hatten uns in der Bunkelheit in den 
Ostteil des Waldes gezogen und dort, auf einer kleinen Lich¬ 
tung zugsweise zur Buhe begeben. Bie 2. Kompagnie lag 
links van meiner in Schwarmlinie,' wir mußten uns im 
Befechtsoorpostendienste gegenseitig ablösen. Beim finbruch 
des IBorgens, am ZI. fingest, waren wir noch in derselben 
Stellung, plöhlich standen drei Bussen, also eine Patrouille 
neben uns, die vom ljauptmann Zischer sofort gefangen, ent¬ 
waffnet und verhört wurde, weil er mit ihnen sprechen 
konnte. Bleich darauf erhielten wir von links Schüsse, was 
uns zur sofortigen fiufnalzme des Befechtes zwang. 
wir lösten uns blihschne» in Schwarmlinicn auf und rann¬ 
ten im heftigsten Zeuer links gegen den Zeind. Bach etwa 
200 Schritten wurde ich am linken Oberarm verwundet und 
verlor durch den Blutverlust die Besinnung, flls ich nach kur¬ 
zer Zeit erwachte, bat ich einen neben mir liegenden Kor¬ 
poral, er möge mich verbinden. Ber öffnete mir den Wantei, 
den ich in der kühlen Bacht angezogen und beim Zeuerüberfall 
nicht mehr ablegen konnte, riß die Bluse auf, sah alles voll 
Blut, weinte, ich hätte auch noch einen Steckschuß in der lin¬ 
ken Brustseite und da helfe auch ein Berbinden nichts mehr, 
weil ich ohnehin sterben müsse, drückte mir die sjand und 
lief weiter. 
Ich glaubte es ihm und schlief in meinem Schwäche- 
zustand wieder ein. wie lange weiß ich nicht, denn meine 
Uhr war um 10 Uhr vormittags stehen geblieben. Beim 
krwachen hörte ich ein Bauschen, kannte nichts sehen und 
mich auch nicht erheben, wein Blutverlust muß sehr arg 
gewesen sein. Line flder in der linken fichsechöhle war durch¬ 
schossen und ich glaube, daß das unwillkürliche flnpreffen des 
firmes und mein ruhiges Liegen mir das Leben gerettet haben. 
Bie Sonne brannte heiß hernieder. Ich raffte meine letz¬ 
ten Kräfte zusammen, suchte und fand im Brotsack die Zeld- 
flasche, die ich in der Bacht glücklicherweise in einer Wasser¬ 
lache angefüllt hatte. Ich wusch mir den Kopf und dies 
erfrischte mich derart, daß ich nach einiger Zeit sogar auf¬ 
stehen und um mich blicken konnte. Bie Begend war leer, nur 
ein paar lote und einige Berwundete lagen unter vielen 
flusrüstungsgegenstönden in meiner Bähe. Ich wandte mich 
nach rechts und kam zu einem Berwundeten, der wegen fei¬ 
ner Zußschüffe nicht gehen konnte. 
Lr erzählte, daß Bussen schon hier gewesen, aber fort¬ 
gegangen seien. Ba kamen wieder zwei Bussen mit roten 
flrmbinden aber auch schußbereiten Bewehren. Unsere Waf¬ 
fen legten wir widerwillig beiseite. Ben marschunfähigen 
Infanteristen ließen sie einfach liegen, ich aber mußte mit¬ 
gehen. Ber eine Busse bog dann nach rechts ab, der andere 
wollte mich angeblich auf den Berbandplatz bringen, fim 
Wege lagen eine Menge Bewehre und Tornister. Ber Mos- 
kal öffnete alle, durchstöberte sie und steckte Wäschestücke und 
Konserven, die chm besonders gefielen, mit Seelenruhe ein. 
Bas Los der hilflos auf der Walstatt Liegenden scherte die¬ 
sen merkwürdigen und bewaffneten Sanitäter einen blauen 
leufel. Mit steigendem Zorn sah ich dieser emsigen Schlacht- 
feldhstäne zu. Bann nahm der Kerl von einem Bewehre ein 
Bajonett und zerschnitt damit die umherliegenden Leibriemen, 
flls er damit fertig war, legte er feine Waffen ab und ver¬ 
richtete neben mir feine kleine Botdurft. Ba konnte ich mich 
nicht mehr zurückhalten, die Wut gab mir Kräfte, ich ergriff 
schnell ein am Boden liegendes Bajonett und stieß es in fei¬ 
nen Bücken. Ber Buffe schlug vor Schreck die lzände über 
dem Kopfe zusammen und lief unter furchtbarem Gebtüll 
davon. 
Ich hob sein liegen gelassenes Bewehr auf, nahm auch 
das blutige Bajonett wieder fest in die Ljand und'wollte 
weiterlaufen. Ich konnte mich aber nur langsam fortschleppen 
und mußte oft stehen bleiben. Bei einer so erzwungenen Bast 
eröffnete eine feindliche flbteilung aus der nördlichen Baum¬ 
gruppe auf mich das Zeuer. Zum Blück gingen alle kugeln 
zu hoch, nur ein Beschoß pfiff knapp an meinem rechten 
Unterschenkel vorbei. Ba ich vor Ermattung nicht mehr wei¬ 
ter konnte, legte ich mich nieder. Sofort stellten die Bussen 
das Zeuer ein. Sie waren sicher der Meinung, ich fei getrof¬ 
fen worden. 
Längere Zeit konnte ich mich nicht rühren, flls ich mich 
wieder aufzustehen getraute, war niemand mehr zu sehen. 
Bun ging ich auf dem gleichen weg in den Wald zurück und 
holte mir von derselben Stelle Wasser wie tags vorher. Bann 
erreichte ich den Waldesrand, das freie Belände. Bort lagen 
verwundete Pferde neben umgeworfenen Beschützen aber kein 
Mensch war zu sehen. Zeindliche firtilleriegeschosse zogen hoch 
über meinen Kopf südwärts. Ich durste bei meiner Schwäche 
mich nicht sehen lassen und konnte auch nach anderen Leidens- 
genoffen nicht suchen. Mit anbrechender Bunkelheit humpelte 
ich aus dem Wald und auf der Straße gegen das kleine 
ffaus. Ba hörte ich auf einmal ..Zeuer einstellen" rufen. Boll 
Zreude wollte ich quer über das Zeld gehen, als ich noch recht¬ 
zeitig bemerkte, daß ich fast einer russischen Schwarmlinie in 
die Ljände gelaufen wäre. Ich wollte sofort wieder in den 
schützenden Wald, doch, als die Buffen nicht näher kamen, 
erreichte ich, nachdem es ganz dunkel geworden war das 
kleine Bauernhaus. 
Ich fand es voll belegt mit verwundeten Kameraden. 
Irostdem freute ich mich darüber sehr, weil ich nun endlich 
nicht mehr allein war. In dem kleinen, russischen flnwesen 
war nur ein alter Mann zurückgeblieben. 5r mußte uns 
Wasser holen. Bas ganze Bebäude samt Scheune und Stall 
waren mit Berwundeten überfüllt. Bar viele mußten im 
Zreien bleiben, darunter auch ich. In der stockfinsteren, reg¬ 
nerischen Bacht hörte man fortwährend Hilferufe und man 
konnte nicht helfen, weil man selbst hilfsbedürftig war. Bie 
Bacht vom ZI. flugust auf 1. September dehnte sich endlos. 
Zreudig begrüßte ich den Morgen, an dem es wieder leb¬ 
hafter unter uns wurde. Ich wollte an der bekannten Stelle 
im Walde Wasser holen und sah wie aus der Lrde gewachsen 
eine russische Patrouille vor mir. flusweichen konnte ich nicht 
mehr und ging ruhig weiter. 
Sie starrten mich erstaunt an und verlangten in einer 
leicht verständlichen Zeichensprache etwas zum Bauchen. In 
meiner Manteltasche hatte ich noch Pfeifentabak, den gab ich 
ihnen. Sie machten sich aus Zeitungspapier sofort Zigaretten. 
Bafür bekam ich Kommißbrot und Birnen, worauf sie weiter 
gingen. Ich holte das Wasser. Später zogen Kosaken vorbei, 
schüttelten die köpfe und ritten weiter. Begen 9 Uhr vor¬ 
mittags hielt vor dem Haufe ein russischer Irainwagen mit 
einem firzt, der auch deutsch sprach. Lr sagte, wir sollen uns 
keine Sorgen machen, denn nur Vh Stunden weit fei eine 
Kirche als Lazarett eingerichtet, dorthin werde man uns brin¬ 
gen. Sie hoben die Schwerverwundeten mit Zeltblättern sehr 
sanft in den wagen und fuhren mit dem Bersprechen da¬ 
von bald wiederzukommen. Bach ihrer Hilfsbereitschaft hatte 
ich kein Berlangen. 
Bei dem kleinen Häuschen kreuzten sich zwei Wege. Ich 
nahm den weg der links zum Walde führte und wollte unsere 
Schwarmlinie in der sjoffnung abgehen, dort einen blessierten 
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