Volltext: Frankreichs finanzielle Oligarchie [66]

zentralisation oder gar einer reinlichen Scheidung der Gewalten wurde 
zwar oft das Wort geredet, ihr aber immer wieder vorgebeugt, mit 
einem Wort, man ließ in der Hauptsache Frankreich derart, wie es 
von Richelieu schon geschaffen und vom ersten Napoleon vollendet 
worden war. Nur in einer Linsicht ging man, durch schlechte Er¬ 
fahrungen gewitzigt, anders vor: um den immer wachen Argwohn 
des Franzosen nicht zu reizen, warf man dieser finanziellen Oligarchie 
ein demokratisches Mäntelchen um, das saß, wie angepaßt. 
In der Behandlung der Presse, die man gegen die Regierung 
ausspielte, erwies man fich als Meister, indem man nicht nur die 
eigene Presse, sondern gegebenenfalls auch die der parlamentarischen 
Opposition unterstützte und derart z. B. eine allzu selbständige 
Regierung durch die „Humanité“ des verstorbenen Jaurès an¬ 
greifen ließ. In der Kammer selber verfügte die finanzielle Oligarchie 
über eine starke Mehrheit, strenggenommen von Joseph Reinach 
bis zu den Augagneur und Sembat, während man dem einzigen 
ernsthaften Konkurrenten, der katholisch-politischen Macht, mittels 
der Trennung von Staat und Kirche und der Vernichtung der Lehr¬ 
tätigkeit des Klerus den Boden auch in parlamentarischer Pinsicht 
unter den Füßen weggezogen hatte. Sonst aber war man tolerant, 
lebte und ließ leben und sparte nie an Trinkgeldern in den ver¬ 
schiedensten Formen, vom letzten Lakaien bis zum Lenker des fran¬ 
zösischen Staatswagens hinauf. 
Wenn dem Cäsar in Rom die Lage kritisch wurde, so gab es 
Zirkusspiele. Der erste und der dritte Napoleon lenkten im gleichen 
Falle die unerwünschte Kritik durch hübsch inszenierte Theater- und 
Ballettskandale und dergleichen mehr ab. Die finanzielle Oligarchie 
des „demokratisch"-republikanischen Frankreich hatte mit dem 
ganzen Lande zu rechnen und verfiel deshalb auf das einfache und 
während vieler Jahre zugkräftige Mittel, den Priester und den 
„Aufgeklärten" in die Arena zu werfen. Zu diesem Zweck wurde 
das Freimaurertum mobilisiert, das die Parole ausgab, und der 
Kampf brach auf der ganzen Linie los, mit einem Spektakel, der 
im weitesten Ausland sein Echo fand. Rom schleuderte alsdann die 
Gegenparole, die bis in die kleinste Ortschaft des „süßen" Frankreich 
drang, die Presse und die Kammer nahmen Stellung, und damit 
war der Zweck erreicht: der Nörgler und Kritiker war zum inter¬ 
essierten Zuschauer oder selbst zum Mitkämpfer geworden. Als 
in dem Frankreich des „apaisement" dies Mittel allmählich ver¬ 
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