Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Erster Band (I. / 1913)

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Die weiteren Kampfe von Tschataldscha. 
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ein ganz anderer Geist ist damit bei ihnen 
eingebogen. 
In den letzten Tagen sind die Korps von 
Erzerum und Damaskus gelandet. So stünde 
es gar nicht schlecht, wenn nicht die furchtbare 
Seuche in den türkischen Reihen wütete. Man 
geht jetzt endlich mit sanitären Maßnahmen 
gegen sie vor, allein es ist wohl auch hier zu 
spät. «Zu spät" — daran geht das Osmanen- 
reich zugrunde. 
Kampfpause. 
Der 2). Rovember war bereits ein Tag 
der Ruhe; die Gewehre und die Kanonen 
schwiegen; man wartete auf den Waffenstill 
stand. Freiherr v. Reihenstand sandte an diesem 
Tage seinem Berliner Blatte folgendes fried 
liche Stimmungsbild. 
Gestern war nichts los. Gar nichts. Der 
Bulgare wollte nicht mehr, und den Türken 
war die Ruhe am Beiramfest auch recht. 
Tiefer Friede. Das war ein Glück. Hätten 
auch die Kanonen gedonnert, ich hätte nicht 
hin gekonnt. Das Pferd stocklahm. Die 120 Kilo 
meter in den beiden letzten Tagen waren zu 
viel. So steckte ich eine Tafel Schokolade in 
die Tasche und zog mein Rößlein am Zügel 
das Tal hinab zu den Ruinen von Azatli. 
Dort rauscht zwischen den zerfallenen hohen 
Mauern in einem großen Marmorbecken unter 
alten Weiden ein kühles Bächlein. Es war eine 
harte Arbeit, den kleinen braunen Hengst mit 
den dicken Beinen in diese Badewanne zu 
bringen. Doch schließlich stand er schnaubend 
darin, und ich hatte Zeit, mich in den Ruinen 
umzusehen. 
Diese gewaltige in Trümmern liegende 
Anlage, die ich, als ich nachts das erstenmal zu 
Fuß daran vorbeiziehend, für ein altes Kloster 
hielt, geben ein Stück Geschichte der Türkei, 
aus der der Chronist wie aus einem Buche 
lesen kann. Die große Anlage, die das Areal 
von ungefähr IO Morgen bedeckt, war nicht 
ein Kloster gewesen, sondern eine Pulver 
fabrik. 
Ich denke noch an das allgemeine Er 
staunen, als man anläßlich des Spandauer 
Dokumentendiebstahls erfuhr, daß wichtige 
Konstruktionsbureaus in einem Mietshause in der 
ersten Etage lagen. Hier dies türkische Span 
dau einer früheren Zeit beaufsichtigte ein Pascha 
von den Fenstern eines Marmorpalastes aus, 
der mit seiner roten Tönung am Canale 
Grande in Venedig liegen könnte. Mühlräder 
aus weißem Marmor liegen in Mengen zwi 
schen dem Mauerwerk. Von Baum und 
Sträuchern überwuchert, liegen die Wasserwerke 
und Krafträder. Das Bächlein, das jetzt da 
fließt, kann die eingerosteten eisernen Wellen 
nicht mehr treiben. Mit der Energie der Men 
schen, die ihr Werk aufgaben, als der zün 
dende Funke die Pulvervorräte, die Häuser, die 
Moschee, die Mauern vernichtete, ist auch das 
Bächlein versiegt, das dem Werke einst die 
Kraft gab. Heute reicht seine Kraft gerade 
noch, die heißen Sehnen des müden Pferdes 
zu kühlen. 
Wie Allah will) Und Allah hatte es ge 
fallen, die Angriffe der Bulgaren abzuweisen. 
Die Angriffe auf dieses historische Tschataldscha. 
Man ist zufrieden, man läßt dem müden Gegner 
Zeit, den Serben zu erwarten. Wie so vieles, 
ist Tschataldscha eine Idee. Jede andere Feld 
stellung zwischen Kirkkilisse und hier hätte es 
auch getan. Jedoch die Idee Tschataldscha hat 
den Türken begeistert und der Widerstand ist 
ihm bisher gelungen. 
Run aber nachstoßen, dem müden Bulgaren 
aufs Fell, mit dem Bajonett. Die türkische 
Kompagnietaktik würde heute dazu genügen. 
Aber nein, nichts, auch heute schweigen die 
Kanonen der Batterien. Die paar Kriegs 
schiffe auf den Flügeln, die am Rachmittag 
donnerten, die schaffen es nicht. 
Ich beschloß nun, den Friedenstag zu be 
nützen, um mir einmal über die verschiedenen 
Gewehrsysteme in dieser türkischen Armee klar 
zu werden. Es ist mir nicht gelungen. Was 
da zugsweise neben den Zeltlagern bei Sazli 
Bosna exerzierte, hatte unser altes Gewehr 
71/84, das nie etwas taugte, dessen schnelle 
Einführung uns jedoch vor einem Kriege mit 
Frankreich zur Zeit des seligen Boulanger be 
wahrte. Der Trainknecht, der das Maultier 
mit Hunderten von blanken Öllampen, frisch 
vom Klempner in Stambul beladen, die Höhe 
nach Hademköj hinauftrieb, und auch sein 
Kollege, der mit den weißen Kisten, die den 
Brand „pschorrbräu München" trugen, folgte, 
waren mit unserem neuesten 9§er Modell be 
waffnet. Auch die Kompagnie, die ich im Ge 
fechte gesehen hatte, trug moderne Mehrlader 
und die scharfen Spitzgeschosse, die sie im 
Streifen den braunen Päckchen entnahmen, 
waren Karlsruher 8-Munition. 
Der Zug tscherkessischer Reiter, der bei dem 
obsoleten Fort Mahmud Pascha entlang zog, 
trug stolz das Y8er Gewehr. Daß er das wie 
seine schwarze Lammfellmütze aus Asien mit 
gebracht hat, glaube ich nicht. Die neuen Ge 
wehre kontrastierten sonderbar mit den ver 
schiedenen Zivilkleidern, in welche die unteren 
Extremitäten dieser guten Reiter gehüllt waren. 
Die khakifarbenen Wolljacken zeigten, daß sie 
Soldaten waren. Ihr Kollege, der Kurde aus 
Asien, der in der Rähe des Hauptquartiers 
Razims, d. h. des Zuges, .der auf freier
	        
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