Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Erster Band (I. / 1913)

Die Cholera. 
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der wohl nur noch für die nächste Stunde zwei 
Hände hat. In einer ist der Brand. Fünf Tage 
Weg ohne pflege mit den vom Sprengstück zer 
rissenen Sehnen l 
Die Hand und der halbe Arm müssen fort. 
Aachmittag geht der Ärmste zum österreichischen 
Hospital, denn hier reichen die Einrichtungen 
nicht }u einer derartigen Amputation. 
Ein türkischer Militärarzt, drei griechische 
Iivilärzte in schmutzigweißen Kitteln erscheinen 
mit vier Schwestern, darunter eine deutsche 
Rönne von St. Georg. Die Verbände werden 
gelöst. Line Schüssel Warmwasser, ein paar 
Tropfen Lysol hinein, die zerschmetterte Hand 
wird gebadet, das heißt naß gemacht. Die ab 
gestorbenen blauen Finger versuchen sich vergeblich 
zu krümmen. Der Arzt macht iin selben Waffer 
einen Bausch Watte naß, 
drückt ihn auf die Wunde 
mit den braungrauen 
Wundrändern, auf die 
bloßliegenden Knochen und 
die Schwester wickelt die 
alten Binden wieder fest. 
So geht es mit dem Bein 
des nächsten, dem die 
Wade zerfleischt ist und 
dem anderen, der in weni 
gen Wochen mit dem Holz- 
fuß daher wandern wird. 
Etwas mehr Komfort 
weist ein zweites Ope 
rationszimmer auf, in dem 
die Arzte vom amerikani 
schen RotenKreuz arbeiten. 
Hier dampft ein moderner 
Sterilisierapparat und in 
desinfizierenden Flüssig 
keiten liegen Lanzetten, 
Pinzetten und Zangen. 
Die Moschee, der Bet 
saal der Kaserne ist in einen Lagerraum um 
gewandelt. Hier werden die milden Gaben ge 
sammelt, die man aus der Stadt und aus Europa 
schickt. Leider fehlt es an Verbandzeug. Da 
gegen scheint hier wirklich für eine gute Ver 
pflegung gesorgt zu werden. In der großen 
Küche im Souterrain brodeln die Kessel. Jeder 
mann erhält täglich 200 Gramm Fleisch und 
Suppe, dazu genügend Brot. 
Eigenartig ist es, daß keiner der Verwundeten 
klagt. Kein schmerzverzerrtes Gesicht ist zu sehen. 
Das ist unheimlich, unnatürlich. Und wieder 
kommt das sonderbare Gefühl über einen, dies 
unaussprechliche. 
Man fühlt sich unter Körpern, die zwar 
leben, aber ohne Seele, ohne Schmerz und ohne 
Freude. So arbeitet der Handwerker in seiner 
offenen Bude, so geht der Händler die Straße 
entlang, so trägt der Hamal, dem Packtier gleich, 
die unerhörten Lasten. Der Soldat steht da und 
wird von seinem Offizier geprügelt und schaut 
ihn an aus großen seelenlosen Augen und rührt 
sich nicht. So geht der Soldat aus dem Gefecht, 
unbekümmert, ob Sieg oder Mederlage, einem 
Leichnam gleich, einem Seelenlosen. 
Und ein Kadaver ist das Land mit seinen 
Trümmern glorreicher Zeiten, mit seinen Mauer 
resten aus der Zeit Konstantins und den Ruinen 
von Fabriken aus der Zeit Abdul Hamids. 
Wer vermag es, [btefen Leichnam wider zu 
beleben? 
Immer mehr und mehr griff die Cholera 
in der türkischen Armee und in ^ber türkischen 
Hauptstadt um sich und vernichtete in gräßlicher 
Kleinarbeit, was die Brutalität der Schlachten 
verschont hatte. Aus Ast Giorgi meldet ein Be 
richterstatter der „Vossischen Zeitung", der mit 
eigenen Augen in das Sterbelager der türkischen 
Armee gesehen hat, unter anderem: 
Hier, 12 Kilometer hinter dem Haupt 
quartier, haben sie gestern mit Karren Kranke 
und Sterbende fortgeführt, aus dem Zeltlager 
des dritten Reservekorps, das allerdings kaum 
eine schwache Division von 8000 Mann umfaßt. 
Auf dem Wege hierher konnten die Züge nicht 
mehr verkehren, weil die Gleise voll von Toten 
und Sterbenden lagen. Rachmittags kommen sie 
schon aus den umliegenden Lagern an, ein 
Kranker quer über den packsattel eines Last 
tieres festgebunden, mit baumelnden Beinen und 
Armen, ein Soldat, der das Pferd am Zügel 
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Choleramapnahmen in Konstantinopel.
	        
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