Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Erster Band (I. / 1913)

Die Schlacht von Kirkkilisse. 
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Kellern und Böden gesteckt. Um die Stadt 
herum sieht man nur Gräber. Die bulgarische 
Kavallerie verfolgte zwar den Feind nur 15 
Kilometer weit, da sie durch Sumpf vom 
weiteren Vorrücken abgehalten war, aber es 
scheint, das) die fliehenden Türken sich unterein 
ander gemordet haben, denn auf dem Weg nach 
Bunar Hissar fand man mehr als 1200 Leichen. 
Der ganze Weg ist mit Patronentaschen, scharfen 
Patronen und Kleidungsstücken bedeckt. Die 
Waffen sind von den Bulgaren nach Kirkkilisse 
gebracht worden, wo auch eine stattliche Reihe 
eroberter türkischer Geschütze zu sehen ist. 
Überall hat man Zeichen dafür, das) das 
Bajonett die furchtbarste Angriffswaffe gebildet hat. 
Ohne Bajonett konnten die Weinberge nicht ge 
stürmt werden, die von den Kurden und Ta 
taren heldenmütiger verteidigt wurden als von 
den regulären Truppen. Von den Türken spricht 
man nicht mehr in Kirkkilisse; auch die Er 
innerung ist erobert worden. 
Unaufhaltsam aber drangen die Bulgaren 
vorwärts, nicht überstürzt, aber rasch und schweig 
sam, ein unerschrockenes Heer, in welchem neben 
grauen Bärten die Jugend ging, eine Armee, 
die hinter sich ihre Herden führt, Romaden zu 
vergleichen, die hinabstehen zu den warmen 
Meeren, die Bewaffneten voraus und hinter 
ihnen das Volk mit Hab und Gut auf zwei- 
räderigen Karren. 
Die Opfer wurden nicht gezählt und die 
zu Hause erfuhren nicht, wieviel bulgarische Kraft 
und Jugend und Intelligenz in den Weingärten 
von Kirkkilisse ihr Leben hatten lassen müssen. 
Die bulgarische Armee gab keine Verlustlisten 
aus, gleichsam als ob es nicht der Mühe wert 
wäre, nach dem Siege sich zu erinnern, welchen 
preis man dafür gezahlt. Man hat die Bul 
garen die Japaner des Balkans genannt. Es 
liegt etwas Wahres in diesem Vergleich. Auch 
in diesem Vordringen in das Herz der Türkei 
zeigt sich jener uns Westeuropäern nicht leicht 
verständliche Zug, das) der Einzelne nichts mehr 
gilt, das) es nur eine von einem großen Willen 
beherrschte Masse gibt. Was die Japaner 
immer wieder Port Artur stürmen lies), was sie 
über die Leichen ganzer Regimenter hinweg 
jagte, das trieb auch die Bulgaren nach vor 
wärts und sie sahen auf ihrem Wege nicht um 
und achteten der Lücken kaum, die der Tod aus 
den Schlünden türkischer Kanonen in ihre 
Reihen gerissen hatte. 
Die Sieger. 
Der Gedanke, den verhaßten türkischen 
Feind niederzuringen, beherrschte vom Tag der 
Balkankrieg. 
Mobilisierung an die ganze bulgarische Armee 
und das ganze bulgarische Volk. Der Haß trieb 
die bulgarische Armee vorwärts. Uber diesen 
Türkenhaß schreibt ein Kenner Bulgariens: 
„Mit der Muttermilch hat der Bulgare den 
Türkenhaß eingezogen, jenen wilden, sengenden 
Haß, der schon vom ersten Tage dieses Krieges 
seine Triumphe feiert und jeden Kampf zu 
einem grausamen, mitleidslosen Abschlachten 
macht. Ihm ist der Krieg gegen den Türken 
auch nichts Reues, Entsetzliches; viel eher hat 
der Begriff für ihn etwas seit langem Er 
sehntes, Gefühle grausam wohllüstiger Rachsucht 
für altes, Jahrhunderte hindurch ertragenes Leid, 
für die der zivilisierte Westeuropäer niemals das 
richtige Verständnis wird aufbringen können. 
Viele der Alten haben schon vor 35 Jahren 
den Befreiungskrieg mitgemacht und haben die 
Jungen in den Erinnerungen an dessen Greuel 
erzogen. Wie traulich die Stube, von mattem 
Licht erleuchtet, beim Ofen die alte Großmutter, 
um sich auf dem gestampften Lehmboden ihre 
Enkel mit gekreuzten, unterschlagenen Beinchen 
versammelt, gespannt auf ihre Worte lauschend! 
Mit welcher Gier wird jedes der Worte ein 
gesogen und dem kleinen Kinderhirn eingeprägt! 
Von dem bösen Feind, dem Feinde Groß 
mütterchens, der mit jedem neuen Sahe auch 
der ihre wird. Sengend und mordend kam er 
in die friedlichen Hütten gestürmt, alles zer 
störend, was ihm in den Weg kam. Das Vieh 
hat er weggetrieben, die Hütten angezündet, die 
Brunnen vergiftet. Die Mutter vor Vaters 
Augen gepeinigt und dann abgeschlachtet, den 
Vater später erschossen. Rur Großmütterchen, 
das sich mit anderen Kleinen in einem alten 
verfallenen Keller verkrochen, blieb verschont. 
Damals waren sie noch ganz kleine, nichts 
ahnende Wesen, denen das Verständnis für das 
Schreckliche abging. Aber später, als sie zu be 
greifen anfingen, kam ihnen alles zu Bewußt 
sein und mit dem Bewußtsein das Sehnen 
nach Vergeltung für soviel Leid und Schmach. 
Diese Kinder sind längst Männer geworden 
und mit dem Körper war auch der Haß und 
der Rachedurst groß geworden. Was Wunder, 
daß die Kunde von der allgemeinen Mobili 
sierung und dem bevorstehenden Krieg gegen die 
Türken wie ein Jubelruf im ganzen Lande 
empfunden wurde! Türkenkrieg! Es ist, als ob 
ein Taumel alle erfaßt hätte. Die Glocken 
läuteten am Morgen im ganzen Lande den 
Bittgottesdienst ein, der Christengott möge den 
christlichen Waffen gegen das Heidenvolk den 
Sieg verleihen. Wie ließ da jeder Bauer sein 
Feldgerät fallen, der Büffel am Pfluge blieb 
allein im Felde stehen. Ist's möglich? Sollte 
wirklich endlich der Tag der Vergeltung ge 
kommen sein? Alles lief, so schnell es die Beine 
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