Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Siebenter Band. (Siebenter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
fortgesetzt große Massen von Rahmenhölzern zur Ver 
zimmerung herbeigeschafft werden, die zum großen Teil 
aus dem Nadelholzbestand der Heimat stammen, da Laub 
hölzer dafür nicht brauchbar sind. 
So traurig und schmerzensreich manchmal die Fracht 
ist, die von den vorn liegenden Sanitätsunterständen und 
Hauptverbandplätzen nach den rückwärtigen Lazaretten ge 
schafft wird, so sind die Kleinbahnen doch in entgegen 
gesetzter Richtung auch die Bringer großer Freude, denn sie 
führen in den Postsäcken die Grüße aus der Heimat und 
manche Liebesgabensendung den wackeren Schützengraben 
kämpfern zu. Ja, zu Weihnachten haben sie viele Wagen 
ladungen von Christbäumchen mit sich geführt, um in den 
feuchten, dunklen, nur durch Schützengrabenöfchen not 
dürftig erwärmten Unterständen einen Schimmer von 
Weihnachtsfreude zu verbreiten. 
Etwas über die Herstellung von Hand 
granaten. 
(Hierzu die Bilder Seite 319.) 
Wenn man heute durch einen der zahlreichen Fabrik 
betriebe wandert, die ausschließlich mit der Erzeugung von 
Kriegsbedarf beschäftigt sind, und aus dem Munde von 
Fachleuten über die einzelnen Abschnitte der Herstellung 
aufgeklärt wird, kann man der deutschen Industrie, die 
in unglaublich kurzer Zeit ihre friedlichen Betriebe so völlig 
den kriegerischen Bedürfnissen der Gegenwart anzupassen 
wußte, nur unbegrenzte Hochachtung zollen. Kaum der 
Militär von Fach hatte beiür Ausbruch des Krieges eine 
Ahnung von den gänzlich neuen Kampfmitteln, die heute 
an den Fronten, auf und unter der See, in der Luft und in 
Minenstollen tief unter der Erde angewendet werden, ge 
schweige denn der Gewerbetreibende, der sich im Frieden 
mit der Herstellung von TtXtilstoffen oder Musikautomaten 
beschäftigte und heute in seinen Werken Granaten, Bomben 
oder Zünder anfertigt, als sei es von jeher so gewesen. 
> Unsere Abbildungen beispielsweise stammen aus einer 
großen deutschen Maschinenfabrik, die sich im Frieden 
ausschließlich mit dem Bau landwirtschaftlicher Ma 
schinen befaßte. Heute wandern aus ihrem Innern Tau 
sende von Granaten aller Kaliber und unzählige Kisten 
mit jenen kleinen gefährlichen Handgranaten, die die Feld 
grauen so meisterlich zu verwenden wissen, am die Front. 
Roch bewundernswerter aber sind diese Leistungen, wenn 
man bedenkt, mit welchem Mangel an geschulten Arbeits 
kräften und geeigneten Rohstoffen die deutschen Betriebs 
zu kämpfen haben. Zur Anfertigung der ungewohnten 
Gegenstände mußten neue Maschinen aufgestellt, neue Ar 
beiter, oft gänzlich ungelernte Frauen, ausgebildet werden. 
Jeder falsche Handgriff kann unberechenbaren Schaden an 
Zeit und kostbaren Rohstoffen verursachen, ganz abgesehen 
von der ungeheuren Steigerung der Arbeitslöhne. Und 
wenn man heute einen derartigen Betrieb besichtigt, ge 
winnt man den Eindruck, als ob diese Leute in ihrem ganzen 
Leben nichts anderes gemacht Hütten, als jene mit aller 
Spitzfindigkeit der heutigen Wissenschaft und Technik aus 
geklügelten Kampfmittel, die alle Augenblicke vervoll 
kommnet und verbessert werden. 
Wie eine deutsche Handgranate entsteht? Scheinbar 
auf die einfachste Art der Welt. Man sieht einen riesigen 
Schmelzofen, in dem eine glühende Metallmasse brodelt, 
die von oben mit immer 'neuen Rohstoffen gespeist wird. 
Unten wird die feurige Flüssigkeit in bereitgehaltenen Be 
hältern aufgefangen. Ein Fingerdruck löst eine sinnreich 
gebaute Schwebebahn aus, die das brodelnde Metall mit 
äußerster Geschwindigkeit und völliger Sicherheit bis un 
mittelbar über die wohlvorbereitete Form im Kerbelraum 
führt. Hunderte von Formkasten stehen dort bereit und 
werden der Reihe nach mit dem flüssigen Metall gefüllt. 
Rach dessen Erkalten werden die fertigen Hülsen, die zumeist 
die Form von Hühnereiern haben, den Formkasten ent 
nommen. Run folgt von flinken Fraüenhänden unter 
Zuhilfenahme sinnreicher Maschinen das Ausbohren, das 
Reinigen, das Abwiegen, das Abschleifen, das Lackieren und 
so weiter. Das alles geschieht mit der Sicherheit und Ein 
fachheit, die die deutschen Fabrikbetriebe von jeher aus- 
' zeichneten. In einem anderen Raum entstehen die hölzernen 
Versandkasten, in denen täglich Tausende der gefährlichen 
kleinen Dinger ins Laboratorium wandern, wo sie mit 
ebenso großer Selbstverständlichkeit, als wären es gefüllte 
Pralinö, ihre todbringende Füllung, ihre Zünd- und 
Sicherungsvorrichtung und so fort erhalten. Diese Ver 
fahren sind natürlich im Interesse der Verteidigung geheim 
zu halten, dürften auch für den Laien kaum von Wert sein, 
zumal er die tröstliche Gewißheit hat, daß die deutschen 
Stoßtruppe draußen an der Front mit ihren „Eierhand 
granaten" recht geschickt umzugehen wissen, sehr zum Schaden 
der Feinde, die diese Hilfsmittel der neuzeitlichen Krieg 
führung erst erfanden und schwerlich glaubten, daß die 
deutsche Industrie imstande sei, ihre Erfindung nicht nur 
nachzuahmen, sondern so zu verbessern, daß die Deutschen 
ihren Gegnern auch hierin wieder einmal den Rang abge 
laufen haben. 
Der Tag von Jakobstadt. 
Von vr. Fritz Wertheimer, Kriegsberichterstatter der „Frankfurter 
Zeitung". 
(Hierzu die Karte Seite 306.) 
Ms die Russen von unseren Vorbereitungen gegen Riga 
Wind bekamen, räumten sie freiwillig ihre kleine Brücken- 
kopfstellung bei Dünhof (Ürküll) und auch kleine Teile ihrer 
vorgeschobenen Brückenköpfe vor Riga und Jakobstadt. Beide 
Räumungen konnten für sie von militärischem Nutzen st in, 
konnten ein Aufgeben schwer zu verteidigender Vor ste lluncen 
zum Zwecke der besseren Abwehr in den Hauptstellungcn 
bedeuten. Mer das alles nützte dem Russen nichts mchr. 
Bei Riga zwang ihn unser Durchbruch nach dem gelungenen 
Dünaübergang zum schleunigen Verlassen der ganzen Wc st- 
dünastellungen. Kampflos zog er aus den starken Befesti 
gungen ab, um nicht größere Truppenkörper der Gefangen 
nahme auszusetzen. Bei Jakobstadt wehrte er sich verzweifelt, 
um das seit Tagen vorausgesehene und im eigenen Heeres 
bericht immer wieder angedeutete Ereignis abzuwenden. 
Zwar hatte auch hier ein vorsichtiger Führer schon den Räu 
mungsbefehl für den ganzen großen, 40 Kilometer breiten 
und 10 Kilometer tiefen Brückenkopf in der Tasche, aber 
die drei Divisionen, die in ihm, stark aufgefüllt und reichlich 
mit Artillerie versehen, zu halten hatten, bekamen doch den 
Auftrag zum äußersten Widerstande. Das ist vom Stand 
punkte der russischen Führung aus nicht nur aus allgemein 
russisch-innerpolitischen,' sondern vor allem aus militärischen 
Gründen verständlich. Hindenburg, der im Sommer 1915 
„mit einem Schimmer von Heer, aber mit dem Rufe der 
Unbesieglichkeit" zur Düna gekommen war, hatte mit seinen 
schwachen nur mit wenig Infanterie durchsetzten Kavallerie 
truppen die beiden Dünabrückenköpfe nicht mehr zu neh 
men vermocht. Seit dieser Zeit bildeten sie eine dauernde 
Bedrohung unserer Nordostfront, ebenso, wie der brücken 
kopfartige Festungsring um Dünaburg herum. 
Riga, Jakobstadt und Dünaburg waren eben drei große 
Städte, geeignet zur Versammlung von Truppen und zur 
Aufnahme großer Vorratsniederlagen, mit unmittelbaren 
Bahnlinien in die rückwärtigen russischen Versorgungsgebicte. 
So oft ein russischer Eeneralstabschef an Offensive dachte, 
wählte er diese drei Ausfallstore, und so oft er eigene 
oder Verbandsoffensiven an anderer Stelle durch Ent 
lastungstöße zu begleiten hatte, hieß es immer: Riga, Jakob 
stadt, Dünaburg. Der Herbst 1915, das Ewerthsche Früh 
jahr 1916, der Brussilowsche Sommer 1916 und das Radko 
Dimitriewsche Frühjahr 1917 zeugen davon. Nachdem 
Riga, der starke Stützpunkt am Rigaischen Meerbusen, ge 
fallen und aus dem die deutsche Front bedrohenden rus 
sischen Brückenkopf ein drohend gegen die russische Front 
vorgetriebener deutscher Brückenkopf geworden war, hatte 
die russische Führung allen Grund, das Ausfallstor Jakob- 
stadt zu halten, gewissermaßen um ein „Gleichgewicht der 
Brückenköpfe" zu schaffen, um gegen deutsche Msichten 
immer einen kräftigen Flankenstoß bereit zu halten. Es ist 
wohl kennzeichnend für die heutige russische Armee, daß sie 
einen Stützpunkt wie Riga in zweieinhalb Tagen, und 
einen Festungsvorsprung wie Jakobstadt in einem Tage 
verliert, und daß sie innerhalb eines Monats an 400 Ge 
schütze und an 14 000 Mann Gefangene einbüßt. Aber es 
gibt wohl auch keinen besseren Beweis für die deutsche Stärke, 
als diese Operationen, als den Mut, sie vorzunehmen, wäh 
rend im Westen die dritte Flandernschlacht drohte und 
tobte, sie artilleristisch und infanteristisch so stark und über 
legen zu gestalten.
	        
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