Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
den Verbündeten im Winter von hier aus durch Artillerie- 
und Jnfanteriefeuer dauernd Verluste zu, die zusammen 
gerechnet wohl erheblich höher sind, als diejenigen, die der 
ganze Sturmtag den Angreifern kostete. Was die Toboly- 
höhe im Norden war, das war die Höhe 166, die soge 
nannte Grillmeierhöhe, im Süden des Brückenkopfes: eine 
ständige Bedrohung, eine wundervolle gegnerische Be 
obachtungstelle. Und als es taute, als das ganze Wasser in 
die tiefliegenden Gräben der Verbündeten floß, während es 
den Russen droben ganz leidlich zu ergehen schien — nur 
schien, denn in Wirklichkeit hatten sie, was sich später heraus 
stellte, so wenig gearbeitet, daß sie weit mehr in Schmutz und 
Schlamm steckten als ihre Gegner, deren Entwässerungs 
künste sich prachtvoll bewährten — da war die Ängriffs- 
ungeduld der Truppe kaum zu bändigen. Immer wieder 
wurde die „Tobolysache" angesagt und abgesagt. Erst plötz 
liches Tauwetter, dann neuer Frost, dann wieder Tauwetter 
und plötzlicher Ostwind — es schien ein Unstern über der 
ganzen Geschichte zu walten. Aber die Führung verlor 
die Ruhe nicht, und als sie dann am späten Abend des 
2. Aprils den Angriff befahl, erwies sich der Tag als der 
denkbar günstigste. Mäßiger Westwind am Morgen, der erst 
nachmittags allzuscharf blies und am späten Abend» als 
alles vorbei war, in Ostrichtung 
umdrehte, Hochwasser im Sto- 
chod — also volles Wetterglück. 
Der Angriffsplan ging da 
hin : Am frühen Morgen sollte 
das letzte Einschiehen der zahl 
reich vereinigten Batterien be 
ginnen, denen sich die Minen 
werfer aller Kaliber anzu- 
schliehen hatten. Mehrstündiges 
Wirkungsfeuer sollte sich an 
reihen und dann, um die Mit 
tagszeit, hatte die Infanterie 
von Helenin aus nach Norden 
und vom Walde aus nach Osten 
vorzustohen, bis nördlich etwa 
die Russenmauer und Rudka 
Czerwiszcze und östlich der 
Ctochod erreicht wären. Für 
den zweiten Tag war nach 
neuem Trommelfeuer der 
Sturm nach Norden und Nord 
osten hin mit dem Ziele Toboly 
vorgesehen, das nicht von der 
schwierigen Westseite» sondern 
vom Gut Czerwiszcze und von 
der Ziegelei aus angegriffen 
werden sollte. Am dritten Tage endlich sollte die „Bastion" 
vor Stare Czerwiszcze genommen werden. 
Am Morgen ging alles programmähig. Die in die 
vordersten Sappenköpfe eingebauten Minenwerfer legten 
ihr Salvenfeuer auf die russische Stellung, während die Ar 
tillerie den Ctochod unter Sperrfeuer nahm und ihre Feuer 
vorhänge bald vom Stochod zurück nach Westen, bald 
in umgekehrter Richtung wehen lieh. Auf die Sekunde 
pünktlich sprengten österreichisch-ungarische Sappeure unter 
der Erillmeierhöhe aus drei Minenstollen je 7000 Kilo 
gramm Dynamit und schufen einen gewaltigen Krater 
trichter gerade an der Stelle, die auch die Russen als Haupt- 
einbruchstelle erkannt und unter Ärtilleriefeuer gehalten 
hatten. Das Gros der feindlichen Artillerie war bald so 
vergast, dah während des Sturmes selbst jede Gegenwirkung 
ausblieb. Kurz nach ein Uhr verliehen die Sturmbataillone 
die Gräben, schon um drei Uhr war das befohlene Angriffs 
ziel des Tages erreicht, ja, starke Patrouillen, ganze Kom 
panien, waren schon in weiterem Vorwärtsschreiten. Da 
änderte die Führung kurz entschlossen ihren Plan um und 
befahl, das ganze Angriffsprogramm noch am Nachmittag 
zu vollenden. Die Truppe hatte es als selbstverständlich 
gar nicht anders erwartet. Jäger und Radfahrerkompanie, 
holsteinische, oldenburgische und ostpreuhische Infanterie 
und Landwehr wetteiferten an Schnelligkeit. Bald war 
das Gut Czerwiszcze genommen und ein Regimentstab 
im „weihen Hause" des Eutsparks gefangen. Drei weib 
liche Feinde, die Infanteristen gesehen haben wollen, 
Leutnant z. S. d. R. 
Conrad Sörensen, 
Kommandant des Hilfsdampfers 
„Marie", der Anfang 1916 aus 
einem deutschen Hafen auslief und 
allen feindlichen Nachstellungen zum 
Trotz große Mengen KriegSmate- 
rial in der Sudibucht in Deutsch- 
Ostafrika ablieferte. Mit dem ent 
leerten Schiff gelang ihm dann 
der Durchbruch nach Niederlän- 
disch-Jndien, von wo aus er später 
mittels eines Segelbootes Manila 
auf den Philippinen erreichte. 
müssen leider entkommen sein, feine Damenwäsche hat 
man jedenfalls im Regimentstabsquartier mit erobert. 
Gegen sechs Uhr abends gab es an der Ziegelei bei einer 
Bretterwand noch kurzen Widerstand» dann stieh man rasch» 
östlich an Toboly vorbei, zum Stochod vor. Drei im Kirch 
hof abgeschnittene russische Kompanien wollten noch um 
drehen und sich wehren, aber nach kurzem Bajonettkampf 
gaben auch sie sich gefangen. Rach kurzer vereinigter 
Feuerwirkung der Batterien setzten dann noch im Abend 
dunkel die bayrischen Reiter, auf einer Strecke von 100 bis 
300 Metern zum Teil bis an Brust und Hals im Wasser, 
zum Sturm auf die „Bastion" und die Kalkofenstellung an 
— als um acht Uhr der Mond aufging und weihen Schein 
über das Schlachtfeld warf, war der ganze Brückenkopf von 
Toboly in deutscher Hand. 
* * 
Die Russen haben sicherlich sowohl bei der Minen 
sprengung wie im Feuer der Minenwerfer, das ihre Stel 
lungen einstampfte, große blutige Verluste erlitten. Am 
meisten kostete ihnen aber der bald in regellose Flucht aus 
artende Rückzug über den Stochod. Die beiden großen 
Brücken bei Rudka und Rowo Czerwiszcze lagen dauernd 
im Schrapnellhagel, waren 
streckenweise auch durch Gra 
natentreffer zerstört, die Hun 
derte von kleinen Stegen waren 
zum Teil durch die Strömung 
weggerissen, zum andern Teil 
überflutet; man sah jedenfalls 
von hohen Beobachtungstellen 
aus, wie beim Übergang über 
den Stochod Gesunde und Ver 
wundete reihenweise umsanken 
und in den Fluten verschwan 
den. Die Russen gaben selbst 
ihre Verluste mit der wohl rich 
tigen Zahl von 20- bis 25 000 
Mann an. Über 10 000 sind 
gefangen worden; am Morgen 
mögen noch zahlreiche Ver 
wundete zurückgekommen sein, 
aber ein starker Prozentsatz der 
Verluste besteht wohltu Toten. 
Das liegt einmal an der über- 
wältiaendenWirkungdes Feuers 
der Artillerie und Minenwerfer 
der Verbündeten, das von 
schneidigen österreichisch-unga 
rischen Fliegern ausgezeichnet 
geleitet wurde» dann aber auch 
am schlechten Ausbau der rus 
sischen Stellungen, die ebensowenig bombensicher, wie auch 
nur im entferntesten menschenwürdigen und gesunden 
Unterkünften ähnlich waren. Die Russen brauchen ja 
nicht wochenlang vorn zu liegen, weil ihr Reichtum an 
Menschen ein öfteres Ablösen als bei den Gegnern er 
möglicht. Aber den Siegern lief es schon ganz kalt über 
den Rücken bei dem Gedanken, dah sie in diesen Toboly- 
löchern auch nur zwei oder drei Tage hätten aushalten 
sollen (siehe die Kunstbeilage). Es war da ganz „barba 
rische" Arbeit zu leisten, um aufzuräumen und gesundheit 
lich erträgliche Zustände zu schaffen. Aber diese Arbeit 
wurde gerne geleistet. Denn der Sieg von Toboly hat 
der Truppe neuen Mut und neuen Geist gegeben! 
Phot. Berl. Jllustrat.-Ges. m. b. 
Oberleutnant z. S. d. R. 
Carl Christiansen, 
dem es glückte, im Februar 1916 
sein mit Munition und anderem 
Kriegsmaterial für die Schutz 
truppe in Deutsch-Ostafrika be 
ladenes Schiff durch die Kette der 
englischen Bewachungsfahrzeuge 
in der Nordsee und den atlantischen 
Gewässern sowie an der afrikani 
schen Küste zu führen, wodurch die 
Widerstandsfähigkeit der sich hel 
denmütig verteidigenden Schutz- 
trüppe gekräftigt wurde. 
Unter deutscher Flagge nach Ostafrika. 
(Hierzu die obenstehenden Bildnisse.) 
Während die deutschen afrikanischen Kolonien Togo und 
Kamerun nach kurzem, heldenmütigem Kampfe der feind 
lichen Übermacht erlegen sind und auch Südwestafrika nach 
längerer hartnäckiger Verteidigung sich dem General Botha 
ergeben muhte, hat Deutsch-Ostafrika in einem zähen Kampfe, 
der schon über zweieinhalb Jahre währt, standgehalten. An 
gesichts dieser heldenhaften Verteidigung gegenüber einer 
erdrückenden Übermacht erhebt sich in Deutschland immer 
wieder die Frage, wie es möglich ist, dah den deutschen 
Helden in Afrika trotz fortwährender Kämpfe noch nicht die 
Munition und das sonst noch erforderliche Kriegsmaterial
	        
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