Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
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ist, daß die Kühnheit, die als die hervorragendste Eigenschaft 
der deutschen Kriegführung anzusehen ist, zu einem Wagnis 
aufforderte, das bei durchschlagendem Erfolg die endgültige 
Entscheidung bringen konnte. Aus diesem Entschluß der 
deutschen Heeresleitung einen Vorwurf machen zu wollen, 
würde eine gänzliche Verkennung der strategischen Grundsätze 
bedeuten. Jede Tat der großen Feldherrn schloß ein 
Wagnis in sich. Daß es hier nicht gelang, war ein Unglück, 
aber keine Verfehlung. Nachdem nun aber die Schlachten 
vom 18. bis zum 24. Juli zwischen Aisne und Marne die 
feindliche zahlenmäßige Überlegenheit, besonders auch an 
Material, unzweifelhaft festgestellt hatten, trat an die deut 
schen Heere die Notwendigkeit des Rückzuges heran. 
Man gefiel sich darin, diesen die „bewegliche Abwehr 
schlacht" zu nennen. Es war ein beschönigender Ausdruck 
dafür, daß man sich vom Feinde in unaufhörlichen Kämpfen 
nach und nach rückwärts drücken ließ. Ob es nicht besser und 
möglich gewesen wäre, sich mit einem Male vom Feinde 
loszulösen und in die Festung der Siegfriedstellung — um 
den Freytags-chen Vergleich festzuhalten — zurückzukehren, 
wird die künftige Geschichtschreibung festzustellen haben. Die 
seit dem 20. Juli beginnenden mehrmonatigen Rückzugs 
kämpfe find wohl als das glänzendste Beispiel taktischen 
Geschicks und hervorragender Tapferkeit der Abwehrtruppen 
zu bezeichnen. Aber ein fortgesetzter Rückzug zermürbt selbst 
die festgefügteste Truppe und fügt ihr Verluste zu, die 
nicht verwunden werden können. Als die deutschen Trup 
pen die Siegfriedstellungen erreicht hatten, waren sie zu 
schwach geworden, um sie gegenüber dem stetig wachsenden 
Heranfluten neuer feindlicher Kräfte zu halten. Der zähe 
Widerstand der Deutschen erlahmte zwar auch jetzt nicht, 
besonders da ihnen aus der Heimat 300 000 Mann Ver 
stärkungen zugeflossen waren. Die Mittelstellung an der 
Maas und die gewaltige Festungsfront Antwerpen, Ramur, 
Metz, Straßburg schienen den Schutz der deutschen Heimat 
weiterhin zu gewährleisten, aber im Heere selbst begann sich 
doch immer stärker die Überzeugung Bahn zu brechen, daß 
der Krieg verloren sei und daß ihm auf alle Fälle ein Ende 
bereitet werden müsse. 
Wenn dies Gefühl hauptsächlich auf Grund militärischer 
Erwägungen Platz griff, so trat doch noch anderes hinzu, 
um es wesentlich zu verstärken. Dahin gehört in erster 
Linie der eingetretene Mangel an erfahrenen Subaltern 
offizieren und Unteroffizieren. Von ersteren sind etwa 
120 000 gefallen, von letzteren mindestens dreimal mehr. 
Dieser Verlust machte sich nicht nur an der Front, sondern 
ebenso bei den Ersatztruppen geltend, deren Ausbildung 
darunter ganz unverkennbar litt. Die Verhältnisse des 
modernen Krieges hielten die oberen Führer aber gebie 
terisch von den vorderen Kampflinien meist fern. Eine ge 
wisse Entfremdung von Führern und Truppe war daher 
unvermeidlich. Diese litt dazu oft Mangel an Nahrungs 
mitteln. Auf den Urlaubsreisen sah sie aber, daß weiter 
rückwärts auf den Etappenlinien häufig Überfluß herrschte. 
Die Urlauber sahen auch in der Heimat das Unwesen der 
Drückebergerei in jeder Form sich breitmachen. Sie waren 
auch Zeugen der Not, des bitteren Nahrungsmangels ihrer 
Familien, besonders derer, die den niederträchtigen Wucher 
des Schleichhandels nicht mitmachen konnten. An der Front 
gesellte sich dazu die vergiftende Wirkung der feindlichen 
Propaganda. Zwischen Front und Heimat trat dadurch ein 
Briefwechsel ein, der das Friedensbedürfnis so sehr zu 
einem lähmenden Faktor steigerte, daß selbst Hindenburg 
die Weiterführung des Kampfes als untunlich bezeichnen 
mußte. Als dann in Deutschland das Kaisertum in Stücke 
und damit der historische Zusammenhalt der Reichsglieder 
verloren ging, war der Zusammenbruch unvermeidlich. 
Aus der Praxis des russischen Bolsche 
wismus. 
Von W. Berdrow. 
lHierzu die Bilder Seite 350 uud 351.) 
In den Saalbauten und Volkshallen des Industrie 
gebiets verkündet ein russischer Genosse, durch die Spartakus 
gruppe von Stadt zu Stadt geleitet, dem deutschen Prole 
tariat das Evangelium des Bolschewismus. Über Tausen 
den dichtgedrängter Köpfe wallt in grauen Schwaden der 
Zigarren- und Zigarettenrauch. Da, dort, überall glimmen 
Streichhölzer rötlich im Dunste auf, wie Irrlichter, und in der 
Ferne hebt sich aus dem grauen Schleier die Gestalt des 
Redners, ein bleiches Gesicht über schwarzem Barte, eine 
drohend ausgereckte Hand. Der Genosse redet. Jetzt müde 
und schleppend mit leisem, fremdem Organ, jetzt höhnisch 
Phot. Charles Scolik. 
Die erste Nationalversammlung der Abgeordneten von Deutsch Österreich im Sitzungsaal des Wiener Landhauses.
	        
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