Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
türkischen befestigten Erzeruin. 
Nördlich davon die kleinere Festung 
Alerandropol; im Herzen des Lan 
des Tiflis mit 250 000 Einwoh 
nern, stark befestigt, der Mittel 
punkt der russischen Stellung, 
gleichsam der Brückenkopf für den 
Übergang über den Kura. 
Es ist unschwer zu erraten, daß 
der Schauplatz der kriegerischen 
Ereignisse zu Lande zwischen der 
Türkei und Rußland in Trans- 
kaukasien liegt. Als Transkau- 
kasien pflegt man das südlich vom 
Kaukasus gelegene, bis zum arme 
nischen Hochland reichende Gebiet 
zu bezeichnen. Vom Norden her 
führt keine Eisenbahnverbindnng 
über den Kaukasus nach Transkau- 
kasten hinein, sond ern d er Üb ergänz 
wird durch eine hervorragende 
Kunststraße, die sogenannte Gru 
sinische Heerstraße, vermittelt, die 
in einer Länge von ungefähr 
200 Kilometern die Verbindung 
Zwischen der Hauptstadt Ciskau- 
kasiens, Wladikawkas, und der 
Hauptstadt Transkaukasiens, näm 
lich Tiflis, vermittelt. Tiflis ist eine 
gewaltige Stadt, deren deutsche 
Kolonie an 2000 Köpfe zählt. In 
Tiflis reichen sich Europa und Asien 
die Hand. Endlich an der Küste, 
nur 15 Kilometer von der türkischen 
Grenze entfernt, das gewerbreiche 
Datum, der wichtigste Hafen dieses 
Gebietes, die Naphthastadt Roth 
schilds. 
Der westliche Teil von Trans- 
kaukasien ist von den herrlichsten 
Waldungen bedeckt, der Osten wird 
von weiten Steppen ausgefüllt. 
Bezeichnend für dieses Grenz 
gebiet zwischen Asien und Europa 
ist auch das Völkergemisch, das sich 
hier zusammengefunden hat. Wohl 
an die vierzig verschiedene Volks 
stämme könnte man aufzählen, 
wenn man sich in Einzelheiten 
verlieren wollte. 
Rußland hält in Kaukasien drei 
Armeekorps, also etwa 120 000 
Mann, außerdem die Grenzwache 
von 5000 Mann. Das unwegsame 
Eebirgsland bietet dem Angreifer, 
zumal wenn er mit den örtlichen 
Verhältnissen nicht vertraut ist, 
große Schwierigkeiten. 
Sollten die Kerntruppen an anderer Stelle verwendet 
werden, so wäre jedenfalls für Ersatz durch Reserven aus 
giebig gesorgt; Rußland wird auch hier an Zahl nicht 
schwach sein. Es wird jedoch, nachdem einmal der türkische 
Sultan den Dschihad, den Heiligen Krieg verkündet hat, 
hier voraussichtlich nicht allein die Türken als Gegner 
finden, sondern auch die gesamte mohammedanische Be 
völkerung des Kaukasus, der transkaukasischen Niederung 
Armeniens und auch Persiens. Haben doch die schiitischen 
Perser ihre jahrhundertelange Feindschaft gegen die sunni 
tischen Türken beigelegt und sich mit diesen verbündet gegen 
den gemeinsamen russischen Erbfeind. Auch die innere 
politische Zerrissenheit Persiens wird hinter der Forderung 
des Heiligen Krieges zurücktreten. Da dieser aber nicht nur 
gegen Rußland, sondern auch gegen England geführt wird, 
so werden, wenn es zum Schlagen kommt, diejenigen 
Volksstämme Persiens, die der britischen Einflußzone näher 
sind, so beispielsweise die kriegerischen, halbnomadischen 
Kaschkai, die in der Provinz Farsistan in den Tälern und 
auf den Höhen dcs südwestiranischen Randgebirges bis in 
die Steppen Jnnenrans hinein wohnen, wohl eher mit 
den von Indien und dem Persischen Meer anrückenden 
Engländern als mit den Russen die Waffen kreuzen. Wie 
die englische Herrschaft in Ägypten durch die Cenussi, jene 
kriegerische, gut organisierte Sekte, die den größten Einfluß 
auf die Mohammedaner Nordasrikas bis tief in den Sudan 
ausübt, bedroht wird, so in Indien durch die Stämme 
Südirans. 
Kosaken. 
Von Dr. Wolfram Waldschmidt. 
(Hierzu die Bilder Seite 366, 367 und 380 oben.) 
Leo Tolstoi hat einmal gesagt, die Liebe zur Freiheit, 
zum Müßiggang, zum Raube und zum Kriege seien die 
bemerkenswertesten Charakterzüge eines Kosaken. Der 
Dichter deutete damit an, daß dieser mit einer gewissen 
blutigen Romantik umgebene Soldatentyp noch heute seine 
Herkunft vom asiatischen Nomaden nicht verleugne, und die 
Geschichte liefert in der Tat den Beweis, daß der Kosak, den 
man nicht ohne weiteres als den Vertreter des reinen 
Russentums auffassen darf, nur langsam und fast wider 
willig _ vom ungebundenen Lagerleben der Steppe zur 
Kolonisation und zum festen Grundbesitz übergegangen ist. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
383 
Die Kreuz »Gneisenau^ 
und 
beschießen 
6arnhorst°° 
lapeete. 
die 
Haupkstadvon Tahiti. 
Nach einer Ostialzeichnung von 
Wil ltoralt. 
Um das Wesen des Kosakentums zu begreifen, müssen 
wir auf die Anfänge der merkwürdigen Organisation zurück 
blicken. Das ursprünglich tatarische Wort—russisch kasLk ausge 
sprochen — bedeutet etwa „der Umherschweifende" oder „der 
Räuber"; vielleicht war es gleichbedeutend mit „Tfcherkesse", 
das heißt „Kopfabschneider". Erinnert doch die Hauptstadt 
des Donschen Heeres, wo es ein Kosakenmuseum voll Waffen 
und Trophäen gibt, durch ihren Namen Nowo-Tscherkask an 
jenen kaukasischen Volksstamm. Mit der Eroberung Sibiriens 
treten die Kosaken zur Zeit Iwans des Schrecklichen, im 
16. Jahrhundert, in dis Geschichte ein. Diese kühnen 
Männer bildeten eine bunte Schar von Überläufern, Ban 
diten und Verbrechern, die sich innerhalb des moskowitischen 
Eroßfürstentums in der Ausübung ihrer gesellschaftsfeind 
lichen Tätigkeit bedroht sahen. Abenteurer aus aller Herren 
Länder, Russen und Polen, Litauer und Walachen 
wie auch Kaukasier verbrüderten sich zu einem internatio 
nalen Bunde, angeblich um die Tataren zu bekämpfen 
und die rechtgläubige Kirche zu beschützen, in Wahrheit 
aber nur, um nach Herzenslust stehlen, plündern und mor 
den zu können. Am liebsten hausten sie an den Ufern der 
großen Ströme, diesen natürlichen Verkehrswegen des un 
geheuren Russenlandes, und erhiel 
ten auch meist von ihnen die Na 
men; so spricht man von Donschen 
Kosaken, Wolgakosaken, Terek-, 
Kuban-, Ural-, Ussurikosaken usw. 
Die älteste und berühmteste 
Kosakengemeinschaft hauste am 
Dnjepr. Einen Teil dieser Horden 
rief StephanBathory zum Schutze 
der südöstlichen Grenze Polens 
herbei; das ihnen zugewiesene 
Gebiet erhielt deshalb den Namen 
Ukraine, das heißt Grenzland, auch 
Kleinrußland genannt, bis auf den 
heutigen Tag der Herd revolutio 
närer Bewegungen. Die Schaf 
fung der Ukraine rief die klein 
russische Frage hervor, die noch 
immer ihrer Lösung harrt. Die 
übrigen Kosaken, die auf ihren 
Sitzen an den Stromschnellen des 
Dnjepr blieben, hießen die Sapo- 
roger (die „hinter den Schnellen" 
Wohnenden). Ihre Sjetsch, das 
heißt Freistätte, bestand aus sorg 
los gebauten, mit Rasen bedeckten 
Hütten und wechselte beständig den 
Ort. Unter den Einwohnern 
herrschte völlige Gleichheit und 
Besitzlosigkeit; sie wählten aus 
ihrer Mitte einen Häuptling, den 
Ataman (polnisch Hetman), der 
das Vermögen des Heeres in kom 
munistischem Sinne verwaltete und 
dem einzelnen Kosaken nur das 
zum Leben Erforderliche aushän 
digte. Für die praktischen Bedürf 
nisse sorgte die Judenschar, die dem 
Heere ständig folgte. Wenn der 
Kosak kaufte, so bezahlte er jedes 
mal mit der Summe, die er mit 
der Hand gerade aus der Tasche 
griff; war kein Geld da, so nahm 
er sich einfach, was er wollte, und 
prügelte überdies den Händler. 
Natürlich fehlten bei der völligen 
Aufhebung jeglichen Eigentums 
auch die Bande der Familie. Alle 
Kosaken waren unverheiratet. Nicht 
die Liebe, sondern Spiel, wilde 
Tänze und sinnlose Trinkgelage 
bildeten die Unterhaltung in den 
kurzen Friedenszeiten. Die Streif 
züge der sengenden und brennen 
den Horden ließen es der mosko 
witischen Politik ratsam erscheinen, 
die Kosaken in den Dienst des 
Zarismus zu locken und damit un 
schädlich zu machen. So ist aus den Freiesten der Freien 
schließlich eine Prätorianergarde der Despoten aus dem 
Hause Romanow geworden. 
Die Kosaken bilden weder einen besonderen Volksstainm 
noch auch eine bestimmte Waffengattung, sondern eine Art 
Miliz auf agrarischer Grundlage. Man bezeichnet sie des 
halb auch als „irreguläre" Truppen, die den regulären 
Truppen äußerlich völlig angegliedert sind. Seit der 
Unterwerfung unter Moskau hat der ursprüngliche Kom 
munismus natürlich aufgehört. Unter Nikolaus I. begann 
die Verteilung des Landes, das früher Gemeingut gewesen 
war; jeder Kosak erhielt einige Hektar und wurde dafür 
zur Heeresfolge verpflichtet. Hieraus erklärt sich die noch 
heute bestehende Bestimmung, daß sich der Kosak Be 
waffnung, Bekleidung und Pferd selbst zu stellen hat. 
Im Frieden betätigt er sich als Jäger, Viehzüchter und 
Ackerbauer, ist aber vom achtzehnten bis zum achtund 
dreißigsten Lebensjahre wehrpflichtig, und zwar drei Jahre 
in der Vorbereitung im Heimatdorf, der „ Staniza", vier Jahre 
aktiv im ersten Aufgebot, vier im zweiten, vier im dritten 
Aufgebot und fünf Jahre in der Ersatzkategorie. Die Re 
gimenter sind in Sotnien eingeteilt (Sotnja = das Hundert);
	        
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