Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
oberkommando braucht die Leitung dringend!" Es wird 
etwas ruhiger. Nur eine Stimme läßt sich noch hören und 
redet ohne Unterlaß wie ein Wasserfall. „Also Ruhe jetzt! 
A.O.K. will sprechen! ... Also, jetzt hören Sie doch endlich 
mal auf ... Ihre Lebensmittelrequisition hat noch lange 
Zeit — ... raus aus der Leitung! — — Na, endlich! — 
Schreiben Sie auf: X. Brigade 4 Uhr 40 Minuten nach 
mittags beide russische Stellungen durchstoßen. Gegner 
weicht. Er wird verfolgt. Schluß!" 
Wie wir Przemysl nahmen. 
Von Dr. Colin Rotz. 
(Hierzu die Bilder und die Karte Seite 30 bis 3t.) 
Przemysl, 3. Juni 1916. 
Es waren leine leichten Tage. Um 3 Uhr begann die 
Tagesarbeit, oft noch früher, um 10 Uhr endete sie, oft erst 
später. Tage in glühender Sonnenhitze. Nächte im Regen. 
Verschmutzt, voll Ungeziefer, in durchschwitzten, am Körper 
klebenden Kleidern, so nahmen wir die Festung. Wer hätte 
Zeit gehabt, sich auch nur die Hände zu waschen oder ein 
Hemd zu wechseln! Wo gäl/ es auch Wasser auf den Höhen 
gegenüber der Festung, in den Gräben oder in den von den 
Mörsern halb zertrümmerten Forts, um die der Kampf tobte. 
Noch rauscht im Ohr das Dröhnen der Geschütze, das 
mit Morgengrauen begann und nachts nicht abreißen wollte, 
das Singen der Eewehrgeschosse und das sausende Ein 
schlagen der Schrapnellkugeln und Sprengstücke. Gestern 
abend noch, als es den letzten hartnäckigen Kampf um die 
letzte Stellung galt — und heute jubelnde Zurufe und 
lachende Mädchen, Blumen und singende Truppen mit 
Eichenlaub um die Helme. — 
Mit Beendigung der anstrengenden, aufreibenden Ver 
folgungskümpfe nach der Durchbruchschlacht von Eorlice— 
Tarnow kam der rasche Vormarsch zum Stehen, und es 
schien, als solle eine ruhigere Zeit beginnen. Wir kamen 
allerdings nicht voran, aber doch wurden die Tage nicht 
ruhiger. Wir gelangten in den Bereich der Festungsgeschütze, 
die uns anfunkten, ohne daß wir uns dagegen wehrenkonnten. 
Mit dem Handstreich oder der kampflosen Räumung, mit 
der man im ersten Siegesrausch gerechnet hatte, wurde es 
leider nichts. So mußte in weitem Halbkreis der Ring um 
Przemysl gezogen werden. Die Nord- und Ostfront 
konnten vorerst nicht eingeschlossen werden; denn selbst nach 
dem Fall von Jaroslau hielten die Russen südlich davon 
noch das linke Sanufer. 
Es gab harte, langwierige Kämpfe um Ostrow, Radymno, 
Drohojow, bis auch das letzte der zu Festungen ausgebauten 
Dörfer fiel. Mit einer unglaublichen Zähigkeit hielten die 
Russen und wichen erst, als sie, beinahe von allen Seiten 
umfaßt, unter ein fürchterliches konzentrisches Feuer ge 
nommen wurden. Damit war die Nordfront frei und der 
Aufmarsch der Angriffsartillerie konnte beginnen. Alle 
fuhren sie auf: die fleißige Berta, ihre leichteren öster 
reichisch-ungarischen Schwestern, die 28- und die 21-om- 
Mörser, die schweren Haubitzen und die langen 13- und 
15-om-Kanonen mitsamt all dem leichten Gelichter von 
Feldgeschützen und Feldhaubitzen. 
Jetzt war das Schicksal von Przemysl besiegelt, obwohl 
die Russen das Menschenmögliche getan hatten, um die 
Schäden, die die Werke bei der ersten Beschießung erlitten 
hatten, auszubessern und die Festung so stark wie möglich 
zu machen. Die Betongewölbe, die die Österreicher und 
Ungarn gesprengt hatten, waren neu aufgeführt, die Panzer 
türme und Panzergeschühe unversehrt, die Jnfanteriestellung 
in der überlegtesten Weise mit zahlreichen Stützpunkten und 
Flankierungsanlagen ausgebaut. Am grauenhaftesten waren 
die Drahthindernisse. Drahthindernisse von 30, 60 und 
80 Meter Tiefe, mit einbetonierten Eisenstäben und Wolfs 
gruben, mit Stacheldrähten, Klingeldrähten und Flatter 
minen. Wenige Schützen mit eisernen Nerven müßten eine 
solche Stellung gegen Armeen erfolgreich verteidigen können. 
Allein es muß Dinge geben, die das für Menschen Mög 
liche übersteigen, und dazu gehört das Ertragen schweren 
Artilleriefeuers. Schon die Beschießung aus mittleren 
Kalibern ist längere Zeit hintereinander kaum auszuhalten. 
Nur durch eine vollkommene Todesbereitschaft kann man 
die Nerven so stählen, daß sie den ununterbrochen auf sie 
einstürmenden Schrecken gewachsen sind. Aber das alles ist 
nichts gegen eine Beschießung mit ganz schweren Geschützen. 
Wir haben die Zweiundvierziger nicht gesehen. Sie 
standen irgendwo weit hinten. Aber wir kannten bald ihr 
Heulen und ihren Einschlag aus all den gelben, schwarzen 
und rotbraunen Wolken heraus. Wie aus einem Vulkan 
steigt die schwarze Rauchsäule aus der Erde. Balken, zentner 
schwere Blöcke, Geschützteile fliegen umher. Die Erde bebt, 
alles scheint zusammenzustürzen, der schwarze Rauch erstickt 
den Tag, verpestet die Luft. In wahnsinnigem Schreck 
flüchtet die Besatzung aus dem Fort. Und nun ging unsere 
Infanterie inmitten des Dröhnens und Krachens vor, bahnte 
sich einen Weg durch die Felder stachliger Drähte und brach 
am Hellen Tage überraschend in die feindliche Stellung ein. 
Hinter der Durchbruchstelle setzten sich die Verteidiger. 
Es gab einen Kampf von Graben zu Graben. Frisch 
herangeführte Regimenter machten Gegenangriffe. Wir 
zogen Batterien heran und schossen von den Forts aus, 
Forts, die aus der Hölle zu stammen schienen. Es waren 
halb verschüttete Betonhöhlen und eingestürzte Erdwälle. 
Dazwischen aber der eine oder andere Panzerturm. 
Wir lagen nach der dem Feinde zu offenen Seite der 
Forts in heftigstem Feuer. Eine Granate schlägt auf fünf 
Schritte ein. Sie krepiert nicht. Eine Kugel trifft den Leib. 
Sie prallt an dem Griff der Pistole ab. Ganz nahe liegt 
der Gegner. Unsere Infanterie wirft ihn. In der Nacht 
arbeitet er sich wieder vor und greift im Morgendämmern 
überraschend an. Bis auf zehn Schritte kommt er an die 
eigene Stellung. Gerade noch rechtzeitig konnten die Batte 
rien eingreifen. Diese liegen in ununterbrochenem Feuer. 
Der Feind ist so nahe herangekommen, daß sie auf die Höhe 
hinauf müssen, um ihn zu bekämpfen. Feindliche Artillerie 
faßt sie in der Flanke. Die Verluste mehren sich. Ein An 
griff unter schweren Opfern gegen das nächste, noch von den 
Russen besetzte Fort führt kaum vorwärts. Endlich laufen die 
Russen doch. Scharen auf Scharen sammeln sich im Fort. 
Unheimliches Dunkel in den Betongewölben! Sprünge 
und Risse in den Mauern. An manchen Stellen hat die 
Wucht der in der Nähe einschlagenden Geschosse ganze Stücke 
herausgequetscht. . Uber unseren Köpfen hängt, von den 
verbogenen Stahlschienen gehalten, ein Blindgänger, ein 
nicht explodiertes Geschoß aus einem 42-em-Mörser. Überall 
Schmutz, Staub und Dunkelheit. Die Gewölbe füllen sich mit 
Gefangenen. Tage voll Fieber und Gefahr; kaum Schlaf, nur 
die notdürftigste Nahrung. Und doch Tage herrlichen Erlebens. 
Dann der letzte siegreiche Angriff über Zarawica hinaus. 
In der Nacht geht es weiter vor, und mit beginnendem Tag 
kommt die Kunde, daß Przemysl in unserer Hand ist. 
Ein.Sommertag voll strahlenden Glanzes. Die Kanonen 
schweigen. Wir aber reiten unter Blüten und Blumen. 
Przemysl unser! Die Mädchen jubeln uns zu mit lachenden 
Augen. Die Helme schimmern grün von Eichenlaub. Die 
Fahnen wehen. Przemysl unser! 
Mit der Sanitätskompanie in Nord 
frankreich. 
Von Di-, nieck. Bernoulli, Oberarzt d. L. im Felde. 
Es war um die Mittagstunde des 27'...., als wir auf der 
großen Nationalstraße von C. nach A. die Eardekavallerie- 
division zu Gesicht bekamen, die „bis vor die Tore von 
Paris" aufgeklärt hatte und deren kühne Taten Deutsch 
land an eine frühzeitige siegreiche Beendigung des Feld 
zugs im Westen hatten glauben lassen. Nächtlich alarmiert, 
waren wir seit fünf Uhr morgens auf dem Marsche, hatten 
das prächtige alte Renaissancetor des aus der Geschichte 
bekannten C. passiert und wollten nach Durchquerung der 
Stadt zu kurzem Halt ausruhen, als uns jener das Soldaten 
herz erfrischende Anblick zuteil wurde. 
Das waren sie also, jene kühnen Reiter, die wie der 
Wind über die Ebenen Nordfrankreichs gezogen waren, 
Städte eingenommen hatten und Schrecken verbreitend das 
französische Heer bis an die Marne vor sich hergetrieben 
hatten! Die Franzosen scheinen von unserer Kavallerie, die 
sie nur schlechthin mit ,,les ulans“ bezeichnen, eine Vor 
stellung zu haben, wie etwa wir von den Kosaken. Nun, 
ich kann versichern, ihr Aussehen war damals ein von diesen 
grundverschiedenes, und ihr bei allem entschlossenen Mut 
im Grunde doch gutmütiger Gesichtsausdruck ließ in ihnen 
wohl die Deutschen erkennen, aber Kosakentum nicht einmal 
ahnen. Roß und Mann schmuck und wohlgenährt, obwohl 
mir von Angehörigen dieser Truppe glaubhaft versichert
	        
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