Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

246 Die Lehre von der menschlichen Glückseligkeit. 
Die Aufgabe ist nicht leicht. Nach dem Worte Chamforts, welches 
Schopenhauer zum Motto seiner Schrift genommen hat, ist das Glück 
sehr schwer in uns selbst, ganz unmöglich aber außer uns zu finden. 
Jenen uns eingewurzelten Irrthum eingeräumt und demgemäß das 
falsche Ziel der Glückseligkeit gestellt, soll der Weg beschrieben werden, 
der uns diesem Ziele zuführt. Wie die ptolemäische Astronomie die 
Planeten ihre Epicykloide beschreiben läßt unter der von ihr bejahten 
falschen Voraussetzung des geocentrischen Weltsystems, so beschreibt 
Schopenhauer in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit" gleichsam die 
Epicykloide des menschlichen Lebens unter der von ihm verneinten 
falschen Voraussetzung der eudämonistischen Lebensansicht. 
Daher würde es sich von selbst verstehen, wenn es auch der 
Philosoph selbst nicht so ausdrücklich und nachdrücklich erklärt hätte, 
daß seine „Eudümonologie" mit seiner „Moral" gar nichts zu thun 
hat; diese ist vielmehr das Gegentheil jener, denn sie verhält sich zu 
ihr, wie die Verneinung des Willens zum Leben zu dessen Bejahung. 
Ich habe gezeigt, daß und warum das Leben Schopenhauers mit 
seiner Moral keineswegs in Uebereinstimmung war. Zu meiner Wider 
legung hat man darauf hingewiesen, wie sehr das Leben Schopenhauers 
mit seiner Eudämonolvgie übereingestimmt habe: eine schlagende Art, 
um die Richtigkeit meiner Ansicht zu erproben und die Gegenansicht 
zu entkräften. Oder glauben die Anhänger wirklich, daß zwischen der 
Glückseligkeitslehre Schopenhauers und seiner Sittenlehre, zwischen 
seiner Eudämonologie und seiner Moral keine Differenz besteht, die 
doch der Meister selbst auf das Schärfste erklärt hat?^ 
II. Die Güter des Lebens. 
1. Die Grundeintheilung. 
Alle Lebensweisheit besteht darin, daß wir die Güter des Lebens 
wohl zu erkennen, zu schätzen und zu gebrauchen wissen, daher müssen 
ihre Betrachtungen sich auf folgende Hauptpunkte richten: die Ein- 
theilung der Arten und Werthe der Güter, die Regeln und Rath 
schläge zu ihrem richtigen Gebrauch und der Unterschied der Lebens 
alter, da nach der Beschaffenheit der letzteren sich die Lebensgenüsse 
abstufen und ordnen. 
> Grisebach in seiner Lebensgeschichte Schopenhauers sagt im Hinblick auf 
die Aphorismen: „So wenig aber ein Widerspruch zwischen diesem eudämono- 
logischen Werke und seinem Hauptwerke besteht, so wenig giebt es einen Wider 
spruch zwischen seinem Leben und seiner Lehre". S. 271.
	        
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