Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

der Frankfurter Periode. 
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Hand Täuschungen und Enttäuschungen und hörte am Ende mit zu- 
sriedenem Erstaunen, daß die ganze Welt Blendwerk sei: „Betrug ist 
alles, Lug und Schein!" Mit einem Worte, sie war auf dem Wege 
zu Schopenhauer oder schon bei ihm, ohne daß sie es ahndete, denn 
„Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie bei'm Kragen 
hätte". Schopenhauer selbst vergleicht sich sehr gern und darum so oft 
mit dem Mephistopheles in dieser Scene. Wenn man die Gegenstände 
Revue passiren läßt, mit welchen sich Schopenhauer nach den Umständen 
vergleicht, so sind sie stets von einer unheimlichen und unwiderstehlichen 
Gewalt: er ist der Minotaur, der steinerne Gast, der Mephistopheles, 
der Montblanc, die Sonne! „Ich bin das Monstrum", sagte er zu 
Karl Bähr im Hinblick auf die Philosophieprofessoren, „das jeden 
Morgen vor ihnen steht, sie zu verschlingen." 1 
Der Sinn der Zeit hatte sich gewendet. Die vom politischen 
Katzenjammer befallene, von der Gegenwart angewiderte Welt sehnte sich 
wieder einmal zurück ins alte romantische Land und konnte nicht oft 
genug die weihrauchduftende „Amaranth" (1849) hören; noch begieriger 
lauschte sie den Gesängen des „Trompeters von Säckingen" (1854); 
sie ließ sich das Märchen von „Waldmeisters Brautfahrt" (1851) erzählen 
und rief dacapo, sie schwelgte in den Wein- und Liebesliedern von Hafis, 
die ihr gerade zu gelegener Stunde Daumer verdeutscht hatte (1852 
und 1856). Die Dichter des Tages waren O. v. Redwih, O. Roquette, 
V. Scheffel u. a. Nach dem Schiffbruche der deutschen Einheitsversuche, 
nach den Tagen von Bronnzell und Olmütz, nach der Wiederherstellung 
des Bundestages in Frankfurt a. M. kam das Satyrspiel mit der 
elegisch-lustigen Grundstimmung: „O du lieber Augustin, alles ist 
hin!" Der einzige Trost hieß: «Ergo bibamus!» Der poetische 
Zeitgeist inspirirte seinen Hofdichter zu einem „Neuen Gaudeamus". 
Nach der Hegelschen Philosophie sei die Weltgeschichte der Fortschritt im 
Bewußtsein der Freiheit: hol' sie der Teufel! „Guano, Guano!" 
rief der Hofdichter der Zeit, „Gott segne euch, ihr trefflichen Vögel, 
an der fernen Guanoküst', trotz meinem Landsmann, dem Hegel, 
schafft ihr den gediegensten Mist!" Der Fortschritt der Welt besteht 
nicht im Bewußtsein der Freiheit, sondern darin, daß sich der feuchte 
Genius loci ausdehnt von Auerbachs Keller in Leipzig bis zum „schwarzen 
Walfisch in Askalon"! 
1 Gespräche und Briefwechsel mit Arthur Schopenhauer. Aus dem Nachlasse 
von Karl Bähr herausgegeben von Ludwig Schemann. (1894). S. 24.
	        
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