Volltext: Österreichischer Volkskalender 1948 (1948)

Vom Winter- und Weihnachtsbrauch 
im Bauernland 
„Es hat sich HM eröffnet das himmlische Tor. 
Die Engelan. die kugelan ganz haufenweis hervor; 
Die Büebelan, die Madelan, die machen Purzegagelan^ 
Bald aui, bald m, bald hin und bald her, 
Bald überfchi, bald unterschi. dos gffeut sie um so mehrk^ 
Der Weihnachtshimmel der bäuerlichen Phantasie ist in dieser Strophe des 
alten Tiroler Krippenliedes aufgetan. — Pausbackige „Engelan", die nicht an 
ders aussehen als kleine Bauernknirpse, benehmen sich so ausgelassen und un 
geniert, als verkündeten sie nicht eine himmlische, sondern eine handfeste irdische 
Freude mit ihren übermütigen Purzelbäumen! 
Diese Vermenschlichung des Himmlischen, diese Übersetzung der biblischen 
Legende in eine zeitnahe bäuerliche Lebenswirklichkeit ist das herzerquickende 
Grundmotiv aller Bauernbräuche in Österreich, denen der Gedanke der christ 
lichen Weihnacht Form und Inhalt gegeben hat. Und das freundliche Licht 
dieses christlichen Weihnachtsgedankeus von der Geburt des Heilandes, von der 
stillen Nacht der heiligen Armut und der Menschenliebe, deren Himmel das 
Gestirn des Friedens erhellt, — dieses Licht einer höheren sittlichen Deutung 
des Naturgeschehens überstrahlt das Dunkel jener anderen Bräuche um die 
Weihnachtszeit, die aus den Tagen der Urzeit überkommen, Noch heute schatten 
haft in der Vorstellungswelt unserer Bauern leben. 
Im Laufe der Jahrhunderte hat es die bäuerliche Phantasie verstanden, 
diese beiden einander so fremden Welten, die christliche und die der Natur 
dämonen und Ahnengeister, so selbstverständlich miteinander zu verschmelzen, 
wie sie es vermochte, das himmlische Bethlehem der Weihnachtskrippen in ein 
Bauerndorf mit Sennhütten und Almvieh, mit Gemse und Reh, Jäger, Holz 
knecht und Bauer zu verwandeln. Der sich in dem bunten Reigen der bäuer 
lichen Weihnachtsbräuche zurechtfinden will, muß sich daher mehr an den natur 
gegebenen Bauernkalender halten, den noch die Vorstellungen der vorzeitlichen 
Menschen diktieren, als an die eigentliche Weihnachtszeit. 
Der Bauer ist in unserem zivilisierten Leben des „elektrotechnischen Zeit 
alters" die einzige Menschengruppe, deren Beruf nicht von der Natur weg, 
sondern zur Natur hinführt. Der Kreislauf der Jahreszeiten bestimmt den 
Rhythmus seiner Arbeit, die :om Frühling bis zum Herbst in sich stetig stei 
gerndem Maße eine Arbeit im Freien, in der Natur selbst ist und nur im 
Winter m das Haus, in den Hof heimkehrt, wo sie, abgesehen von der hals 
brecherischen Arbeit des Holzziehens drr Gebirgsbauern, fast ausnahmslos eine 
gemütlich ablaufende, weniger anstrengende Stuben- und Werkstättenarbeit ist. 
So wie Acker und Weide unter der schützenden Schneedecke, so rastet auch der 
Bauer im Winter im Schutze seines Hofes aus
	        
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