Volltext: Österreichischer Volkskalender 1948 (1948)

schwache Seite des Landneffen war, and bald bekam sie über sein verwirrtes 
Gerede Kopfweh, daß ihr der Angstschweiß ausbrach, sie ließ aber beileibe 
nichts vor dem Studenten merken, der sich übrigens seit geraumer Weile augen 
scheinlich in einem beklagenswerten Zustande befand, da ihn kleine Kramps 
anfälle erschütterten und er nichts zur Hand hatte, als seinen Plaid, den er 
von Zeit zu Zeit als trockenen Umschlag vor das Gesicht brachte, was chm 
einige Erleichterung zu gewähren schien. 
Die alte Frau begann nun, ihre Kinderlosigkeit zu bejammern, wie das 
das Sterben doppelt traurig und trostlos mache, so allein, verlassen, unter 
Fremden! Wie ja nach zwanzigjähriger Ehe auch ihrem Manne aus dem 
Totenbette hart geschehen sei, daß er keine Kinder hinterlasse. — 
Der Sinnierer saß in Gedanken und nickte dazu, dann schüttelte er paarmal 
den Kopf. „Daß aber vom Herrn Onkel keine Kinder da sind — das nimmt 
mich wunder, ja, daß keine Kinder da sind, ich besinn' mich doch —" 
„Auf was?" fragte die alte Frau große Augen machend. 
„Daß die Frau Tant' im ledigen Stand' —* 
Weiter kam er nicht, der Student sprang auf, faßte ihn beim Kragen und 
setzte ihn vor die Türe; vor derselben, ehe er ihn die Treppe hinunterwarf, 
umarmte er ihn und nannte ihn seinen besten Freund, der mehr für ihn 
getan, als ein leiblicher Bruder wohl für den andern täte. Dann kehrte er 
in das Krankenzimmer zurück und durste sich an das Kopfende des Bettes 
setzen, er hatte durch diese rücksichtslose Behandlung seines Blutsverwandten 
die volle Gunst der Tante wieder gewonnen. 
Ja, damals — als er zu dem Hause hinausgeworfen wurde, in das er 
fast schon das ganze Dorf geladen hatte, „komnrt nur hin und schaut euch's 
an!" und nun zurückkehren mußte, so arm, wie er gegangen war, worüber 
wohl alle der Schadenfroh und der Spotteufel nicht wenig kitzelte — da ver 
fluchte der Sinnierer die verhängnisvolle Gabe, gegen die keiner nichts machen 
kann, das herrgottssakermentische Denken, und verschwor es für all seine künf 
tigen Tage. Er will die Dinge ihren Weg gehen lassen und gar nimmer nach 
ihnen aufschauen. Bisher war ihm seltsam, wie auf den Feldern der Flachs 
blau, der Raps gelb und der Buchweizen weiß geblüht hat, daß die nie kein 
Jahr' die Färb' haben wechseln können, jetzt, wenn sie's gleich im nächsten 
znweg' brächten, er tät' gar nit darauf achten. Er will auch nichts mehr fragen, 
und er will auch nichts mehr bereden, mögen die Weiber als alt Bärte kriegen, 
so viel sie wollen, und als jung Kinder, so viel sie nit wollen! 
Das Schicksal hatte ihn aber diesmal gröber angefaßt, und der Sinnierer 
war mittlerweile älter und schwächer geworden, es konnte nicht mehr so glattweg 
wie früher und ohne Merks für ihn ablaufen. Der starre Schreck, den er emp 
fand, als ihm plötzlich einleuchtete, er habe durch seinen Denkprozeß die Erb 
schaft verloren, und der bewegliche Schreck, der ihn befiel, als er über fremde 
Veranlassung, aber auf eigene Gefahr die Treppe hinuntereilte, diese beiden 
Schrecken lagen ihm noch bei seiner Heimkehr in allen Gliedern und machten 
ihn bettlägerig. Da er etwas fieberte, bekam er einen Trank verordnet, der 
schmeckte aber so ganz abscheulich, daß er ihn nicht nehmen wollte, und der Arzt 
versuchte es, ihm das Gebräu durch einen Sirup mundgerechter zu machen; 
durch diesen Zusatz erhielt die Medizin eine andere Farbe. Bisher — allerdings 
nur zwei Tage lang, wovon er den einen im Halbschlnmmer zubrachte — hatte 
sich der Sinnierer wacker gehalten, nach nichts gefragt und nichts beredet, aber 
Lü
	        
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