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Das gab es doch gar nicht, daß er Heuer
keinen Baum und nichts vom Christkind
bekommen sollte! Das Christkind ist ja
so gut und lieb und Papa hat doch gesagt,
wenn es schneit, werde Christkindlein
kommen.
Am nächsten Morgen waren alle
Dächer und Straßen blendend weiß, ein
schwerer, dunkler Himmel hing tief über
der Stadt, aus dem es fort und fort in
dichten, weichen Flocken schneite.
„Ist es also kein Traum?" lachte
Scholz und sprang aus dem Bette, küßte
den schlafenden Angeli und eilte aufs
Gemeindeamt, sich als Schaufler zu
melden.
Nach mehr als einer Stunde erwachte
das Kind, blickte zum Fenster und platschte
in die Händchen.
„Schnee, endlich Schnee!" jubelte es,
„nun wird Christkindlein bald kommen!"
Frau Holler kam, war dem Kind beim
Ankleiden behilflich und setzte ihm eine
Tasse dünnen Kaffees und ein hartes Stück
Brot vor.
„Da hast, armer Balg! Gott, der die
Sperlinge nährt, läßt dich nicht verhun
gern! Ich kann dies alles wohl recht schwer
entbehren, aber altes, hartes Brot wegzu
werfen ist eine Sünde und bringt Ver
luste, Wohltun trägt Zinsen", schloß sie
mit einem herablassenden Seufzer und
ging einkaufen, besser gesagt: Neuigkeiten
einsammeln. —
Angeli dachte während des Frühstückes
nach, wie schade es sei, daß er noch nicht
größer sei und schreiben könne, aber er
werde das Christkind suchen gehen, nun
sei ja überall Schnee und das Christkind
leicht zu finden.
In seinem leichten Kleidchen verließ
das Kind das Haus, den Flocken nach
gehen; ,Ia<, dachte es, ,wenn eine recht
groß, duftig und glitzernd ist, so ist dies
das Christkindlein und ich werde ihm
meine Adresse sagen, denn es wäre doch
zu schrecklich, wenn es gerade auf mich
vergessen wollte ll —
Lehrer Scholz war der erste bei der
Lohnauszahlung. Atemlos huschte er in
ein paar Geschäfte, und mit allerlei nütz
lichen Lebensmitteln beladen, Kostbarkei
ten, wie er sie nannte, langte er um
sieben Uhr abends in seiner Wohnung an.
Der kleine Angeli war verschwunden!
Nach einer erregten Debatte mit der
Nachbarin wollte Scholz eben davonstür
men, stieß aber auf der Schwelle mit
einem Polizisten zusammen, der über der
Schulter den leblosen Körper seines Lieb
lings trug.
Am Ende der Stadt habe man den
kleinen Knaben erfroren im Schnee auf
gefunden. —
Der erste Schnee, auf den er sich so
sehr gefreut, der ihm Arbeit und Verdienst
gegeben, er hatte ihm sein Liebstes ge
raubt.
Plötzlich begriff er, daß der Knabe das
Christkind, dem er nicht schreiben konnte,
suchen gegangen sein mußte... gewiß,
Angeli war nun ein kleines Englein und
hatte sein Christkind gefunden, die Adresse
brauchte es nun nicht mehr.
Hinaus in die nachtstillen Straßen
schritt er, einen heulenden Sturm in der
Brust. —
Ringsum märchengleiche, versöhnende
Stille...
Wo er herumgeirrt und wann er
heimgekommen, er wußte es nicht, er
empfand nicht, ob er lebe oder tot sei,
nur eines brannte durch das Mark seines
Herzens:
Lieber elend sein, Not, Verfolgung
leiden, bittere Almosen nehmen, als das
Liebste auf Erden zu verlieren!
Und als der Heilige Abend kam, da
saß er allein in der Stube, er wußte nicht,
ob es ihn fror oder ob ihm heiß war,
ob er gesättigt war oder voll Hunger —
nur seines Kindes Beten widerhallte in
seiner Seele:
„Lieber Vater im Himmel, lass es
recht fest schneien, damit Papa Arbeit
bekommt und i ch nicht mehr hungern
und frieren muß!"
Er brauchte das Kind nicht mehr ver
bessern, es hatte richtig gebetet.