Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1932 (1932)

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Das gab es doch gar nicht, daß er Heuer 
keinen Baum und nichts vom Christkind 
bekommen sollte! Das Christkind ist ja 
so gut und lieb und Papa hat doch gesagt, 
wenn es schneit, werde Christkindlein 
kommen. 
Am nächsten Morgen waren alle 
Dächer und Straßen blendend weiß, ein 
schwerer, dunkler Himmel hing tief über 
der Stadt, aus dem es fort und fort in 
dichten, weichen Flocken schneite. 
„Ist es also kein Traum?" lachte 
Scholz und sprang aus dem Bette, küßte 
den schlafenden Angeli und eilte aufs 
Gemeindeamt, sich als Schaufler zu 
melden. 
Nach mehr als einer Stunde erwachte 
das Kind, blickte zum Fenster und platschte 
in die Händchen. 
„Schnee, endlich Schnee!" jubelte es, 
„nun wird Christkindlein bald kommen!" 
Frau Holler kam, war dem Kind beim 
Ankleiden behilflich und setzte ihm eine 
Tasse dünnen Kaffees und ein hartes Stück 
Brot vor. 
„Da hast, armer Balg! Gott, der die 
Sperlinge nährt, läßt dich nicht verhun 
gern! Ich kann dies alles wohl recht schwer 
entbehren, aber altes, hartes Brot wegzu 
werfen ist eine Sünde und bringt Ver 
luste, Wohltun trägt Zinsen", schloß sie 
mit einem herablassenden Seufzer und 
ging einkaufen, besser gesagt: Neuigkeiten 
einsammeln. — 
Angeli dachte während des Frühstückes 
nach, wie schade es sei, daß er noch nicht 
größer sei und schreiben könne, aber er 
werde das Christkind suchen gehen, nun 
sei ja überall Schnee und das Christkind 
leicht zu finden. 
In seinem leichten Kleidchen verließ 
das Kind das Haus, den Flocken nach 
gehen; ,Ia<, dachte es, ,wenn eine recht 
groß, duftig und glitzernd ist, so ist dies 
das Christkindlein und ich werde ihm 
meine Adresse sagen, denn es wäre doch 
zu schrecklich, wenn es gerade auf mich 
vergessen wollte ll — 
Lehrer Scholz war der erste bei der 
Lohnauszahlung. Atemlos huschte er in 
ein paar Geschäfte, und mit allerlei nütz 
lichen Lebensmitteln beladen, Kostbarkei 
ten, wie er sie nannte, langte er um 
sieben Uhr abends in seiner Wohnung an. 
Der kleine Angeli war verschwunden! 
Nach einer erregten Debatte mit der 
Nachbarin wollte Scholz eben davonstür 
men, stieß aber auf der Schwelle mit 
einem Polizisten zusammen, der über der 
Schulter den leblosen Körper seines Lieb 
lings trug. 
Am Ende der Stadt habe man den 
kleinen Knaben erfroren im Schnee auf 
gefunden. — 
Der erste Schnee, auf den er sich so 
sehr gefreut, der ihm Arbeit und Verdienst 
gegeben, er hatte ihm sein Liebstes ge 
raubt. 
Plötzlich begriff er, daß der Knabe das 
Christkind, dem er nicht schreiben konnte, 
suchen gegangen sein mußte... gewiß, 
Angeli war nun ein kleines Englein und 
hatte sein Christkind gefunden, die Adresse 
brauchte es nun nicht mehr. 
Hinaus in die nachtstillen Straßen 
schritt er, einen heulenden Sturm in der 
Brust. — 
Ringsum märchengleiche, versöhnende 
Stille... 
Wo er herumgeirrt und wann er 
heimgekommen, er wußte es nicht, er 
empfand nicht, ob er lebe oder tot sei, 
nur eines brannte durch das Mark seines 
Herzens: 
Lieber elend sein, Not, Verfolgung 
leiden, bittere Almosen nehmen, als das 
Liebste auf Erden zu verlieren! 
Und als der Heilige Abend kam, da 
saß er allein in der Stube, er wußte nicht, 
ob es ihn fror oder ob ihm heiß war, 
ob er gesättigt war oder voll Hunger — 
nur seines Kindes Beten widerhallte in 
seiner Seele: 
„Lieber Vater im Himmel, lass es 
recht fest schneien, damit Papa Arbeit 
bekommt und i ch nicht mehr hungern 
und frieren muß!" 
Er brauchte das Kind nicht mehr ver 
bessern, es hatte richtig gebetet.
	        
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