Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1932 (1932)

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Erst als wir über dem Semmering 
fuhren, sprach ich das Fräulein an und 
bald war zwischen uns ein Gespräch im 
Gang, das uns an keinen Schlaf denken 
ließ und uns die Fahrt in anregender 
Weise kürzte. 
Sie konnte ganz entzückend plaudern. 
Zu meiner freudigen Überraschung gestand 
sie mir, daß sie gleich mir nach Triest 
fahre, um im Hause eines italienischen 
Großhändlers eine Stelle als Gouver 
nante zu übernehmen. Die Liebenswür 
digkeit, die ihr ganzes Wesen verströmte, 
die Bescheidenheit ihres ganzen Sich- 
gebens ließ mich auf den Ring an meiner 
Hand ganz vergessen. Und dann bereitete 
es mir ein Vergnügen, den funkelnden 
Gegenstand, von meinem Finger blitzen zu 
lassen, als ob ich ihr mit meinem ver 
meintlichen Eigentum imponieren wollte. 
Und schließlich, was hatte ich auch von der 
Seite dieses liebreizenden Wesens zu be 
fürchten gehabt? 
Wir waren schon über Marburg, der 
Zug fuhr gegen die krainische Hauptstadt 
und an den Abteilfenstern stieg schon der 
graue Morgen wieder herauf, als meine 
schöne Mitreisende, die bei der gegenseiti 
gen Vorstellung einen Namen nannte, den 
ich mir nicht merkte, nach ihrer perlen 
gestickten Tabatiere griff und, sich ent 
schuldigend, daß sie ab und zu eine Ziga 
rette rauchen müsse und ich daran wohl 
keinen Anstoß nehmen werde, derselben 
eine zierliche Zigarette entnahm und die 
selbe in Brand setzte. 
.Verzeihen Sie, mein Herr', sagte sie 
auf einmal, wie sich auf etwas besinnend, 
.darf ich Ihnen eine von meinen Ziga 
retten anbieten?' Sie reichte mir voll Lie 
benswürdigkeit ihre Tabatiere. 
.Ich danke, Fräulein, ich habe selbst 
welche bei mir.' 
.Versuchen Sie aber dennoch meine echt 
spanischen Zigarillos. Sie werden das 
fremdartige Aroma dieses Krautes wohl 
angenehm finden.' 
Es wäre eine Unhöflichkeit meinerseits 
gewesen, wenn ich dieser ausgesucht lie 
benswürdigen Einladung nicht Folge ge 
leistet hätte. Und so blies ich eine Weile 
später die blauen Rauchringe gegen die 
Decke des Abteils. 
.Na, wie.schmeckt Ihnen das Kraut?' 
fragte mein Gegenüber. 
.Das Aroma ist allerdings etwas 
fremdartig, wie Sie vorher bemerkten, 
aber dabei lieblich . . . außerordentlich 
lieblich.' 
Schweigend rauchten wir weiter. Es 
dauerte aber kaum Minuten, als ich 
merkte, daß ich im Begriffe war, einzu 
schlafen. Glücklicherweise schien es das ' 
Fräulein nicht zu bemerken. Offenbar war j 
in der Zigarette etwas enthalten, das be- ! 
ruhigend und einschläfernd wirkte. Wie \ 
ich mich auch gegen den Schlaf wehrte, 
der meine Augenlider immer wieder nie 
derdrückte, ich konnte doch nicht verhin 
dern, daß die Schlafgeister über mich j 
Herr wurden und ich in ein verworrenes j 
Träumen versank. 
Wie lange ich in diesen Träumen lag, ? 
ich wußte es nicht. Ich verspürte auf ein 
mal ein Rütteln und Schütteln meines j 
Körpers, und als ich meine Augen auf- j 
schlug, sah ich einem Stationsarbeiter ins 
Gesicht, der eben dabei war, die Waggons 
des Wien—Triester Eilzuges nach etwa 
vergessenen Gegenständen zu durchsuchen. ! 
.Wo sind wir denn?' fragte ich. 
.In Triest. Sie haben wohl so gut j 
geschlafen, daß Sie vergaßen, aus dem - 
Zug zu steigen, der vor zwei Stunden 
hier angekommen ist?' 
.Vor zwei Stunden . . .?' Ich mußte! 
den Mann mit Augen angesehen haben, i 
über die er aufs höchste erschrak. Gleich 
darauf fiel mein Blick auf den Finger, an 
dem ich vor kurzem noch den Ring ge 
tragen. 
Heiliger Gott im Himmel, der Ring 
war verschwunden. 
Erlassen Sie mir, meine Herren, Ihnen 
die Gefühle zu schildern, die jetzt in mir 
aufstürmten. Am nächsten Morgen stand 
ich, ein zitternder, zerknirschter Sünder, 
vor meinem Chef. Ich erzählte, was mir 
passiert, und schweigend hörte er meinen 
Bericht an, ohne auch nur mit einer Wim 
per zu zucken. Nur wollte ich bemerkt 
haben, daß ein ganz feines und wie mir 
schien, schadenfrohes Lächeln um seine 
Mundwinkeln spielte. 
.Trösten Sie sich', sagte er, nachdem er: 
mein Bekenntnis vernommen, ging dann
	        
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