Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1925 (1925)

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möchte", versicherte er innig; „etwas ganz 
anderes ist mir auf dem Herzen gelegen, 
monatelang, so daß ich oft befürchtete, Geist 
und Körper würden ihre Dienste versagen! 
Aus eigenem Antriebe hätte ich dir heute 
abends oder morgen eine Erklärung gegeben, 
denn ich hoffe, daß wir dem Verhängnis, 
das uns bedroht hat. jetzt glücklich entgangen 
sind ... Doch komme mit mir in den Garten 
hinaus; wir wollen für heute die Arbeit 
ruhen lassen . ..." 
Domweihe-Fest: Der Festprediger am 1. 
Se. Eminenz Kardinal Faulhaber. 
(Phot. Weidinger, Linz.) 
Schwer und breit, in jeder Bewegung 
den Mann der Arbeit verratend, schritt 
Johannes Wortmann dem Bruder voran 
über die Steinfliesen des schmalen Hans 
ganges. 
An der Hoftür verharrte er einen 
Moment, um behutsam eine frischgrüne Efeu 
ranke zurückzubiegen, die sich zu weit vor 
gewagt hatte und in Gefahr stand, von der 
Tür zerdrückt zu werden. 
Dann traten sie in den Garten, und ein 
stiller Friede senkte sich auf die Erde nieder. 
In dem Holunderstrauch zirpte träu 
merisch ein Buchfink; ein leiser Wohlgeruch 
entstieg den Blumenbeeten, zwischen denen 
die Männer dahinschritten, und am westlichen 
Himmel zogen leichte, rosenfarbige Wölkchen 
dahin, die einen schönen, neuen Tag ver 
hießen. 
Langsam sank die Sonne nieder; noch 
einmal aber schüttete sie eine leuchtende 
Goldflut über die Erde aus, wie einen 
letzten Gruß nach beendetem Tagewerk, und 
überall, wohin dieser letzte Licht 
schein siel, ging es wie ein Atem 
zug durch die Natur. 
In der Mitte des Gartens 
hemmte Johannes seine Schritte 
und schaute zurück, und unwill 
kürlich folgte der Jüngere seinem 
Beisviel. 
Die efeubedeckte Rückwand 
des kleinen Wohnhauses lag voll 
in dem schwindenden Licht, das 
in das dunkle, farbensatte Blät 
terwerk tief einzudringen schien; 
die Glasscheiben der Fenster 
spielten in einer ganzen Reihen 
folge von Farben vom feurigsten 
Rot bis zum dunkelsten Violett 
hinab, und in dem Küchenraum 
zu ebener Erde, wo man die 
Fenster weit geöffnet hatte, traf 
das Sonnenlicht eine alte Frau 
mit weißer Haube, die bedacht 
sam hin und her schritt und 
blankes Geschirr in den Händen 
trug. 
„ Gute Mutter!" sagte Fried 
rich leise, und fügte tief aufatmend 
hinzu: „Wie schön, wie friedlich 
ist es hier!" 
Der Aeltere fuhr aus seinem 
Sinnen empor und nickte zustimmend. „Wie 
ein kleines Paradies erscheint mir unser 
Fleckchen Erde", bestätigte er dann mit ernster 
Stimme, „und doch bedurfte es vor sechs 
Monaten nur eines Federstriches, um uns 
von hier zu vertreiben!" 
„Uns von hier zu vertreiben? .... 
Von unserem Eigentum?" Schreck und 
Erstaunen klangen durch die Worte des 
Jüngeren. 
„Wo wir Eintracht und Wohlstand 
sahen, breitete sich langsam der Ruin aus!" 
Mai,
	        
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