Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

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Daran" klar und offen durchschaue, ohne 
erst überall in Wirklichkeit die Nase hinein- 
stecken zu müssen. 
Heute wurde die Dame in dieser Meinung 
etwas schwankend. Nein, gewiss, so schmutzig 
und abstoßend, das angeborne Feingefühl 
in so gröblicher Weise verletzend, hatte sie 
sich Krankheit und Elend in den Hütten der 
Armut, wie sie es heute geschaut, doch 
niemals gedacht und darum auch nie so 
erzählt. Ob sie denn 
überall auf solchen 
Irrwegen tappte? 
Nachmittag gieng 
ganz unerwartetem 
heftiges Gewitter 
nieder. Regine war 
an das Zimmer ge 
bannt, und das 
Gebot, „anhalten 
des Lesen zu 
meiden," gänzlich 
vergessend, vertiefte 
sie sich so in den In 
halt eines Buches, 
dass sie fast das 
Essen versäumte 
und hernach gleich 
wieder hinaufgieng, 
um im Dämmer 
lichte weiter zu lesen. 
Ein starkes Po 
chen schreckte sie auf, 
aber sofort durch 
blitzte sie auch der 
Gedanke: „Das ist 
der Grubhvfer." 
Er war es auch wirklich, und musterte 
Regine keineswegs mit freundlichen Blicken. 
Als ihm seine Frau das Anliegen der 
Stadtdame vorgebracht hatte, war er gleich 
mit den Worten in die Höhe gebraust: 
„Run, und was zahlt denn das Fräulein 
dafür?" 
„Vom Zahlen war keine Rede," ent- 
gegnete mürrisch das Weib, „ich habe auch 
nicht weiter gefragt und war nur froh, 
als die geputzte Gretel wieder draußen vor 
der Thüre war, sie hat so einen süßen 
Geruch in den Kleidern gehabt, der mich 
ganz höllisch zum Husten gereizt." 
„Ja, ja, es sieht Dir gleich, dass Du Dich 
da weiter gar nicht bekümmerst," grollte 
der Mann, „aber wenn vielleicht diese Stadt 
fee glauben sollte, unser Mädel nur so um 
sonst ausnützen zu können, so täuscht sie 
sich groß. Ich will ihr das sofort ohne alle 
Umstände sagen." 
In solcher Stimmung war der Mann 
über die Treppe hinaufgepoltert und machte 
nun freilich Regine keine höflichen Knixe, 
sondernbegann ohne 
jede Einleitungs 
phrase : 
„Also mein Mä 
del soll Sie be 
dienen? — 
Was zahlen Sie 
dafür? Das muss 
entschieden festge 
setzt werden, denn 
Sie dürfen keines 
wegs glauben, weil 
die Katherl noch ein 
dummer Schulftatz 
ist, dass es für uns 
etwa eine Ehre be 
deute, wenn Sie 
Ihnen die schmutz 
igen Schuhe putzen 
kann." 
Regine wich ein 
wenig scheu zurück, 
konnte aber doch 
nicht umhin, den 
Mann, während er 
sprach, mit unver- 
hehlter Neugierde 
fest im Auge zu behalten. 
Harte Arbeit, wenn sie durch Jahre 
mit unzufriedenem Gemüthe geübt wird, 
macht frühzeitig alt, und so mochte auch 
Grubhvfer weit weniger Jahre zählen, als 
sein faltiges, sonnenverbranntes Gesicht be 
sagte. Er besaß scharfgeschnittene, nicht un 
schöne Züge. und die dunklen Augen hatte 
Katherl von ihm, nur sahen sie hier unter den 
zusammengewachsenen Brauen weit düsterer 
aus als in dem hellen Antlitz des freundlichen 
Kindes. 
Regine fühlte sofort, dass sie mit diesem 
finsteren Gesellen gut auskommen müsse,
	        
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