Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1885 (1885)

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den Rufe, er sah nur nach dem Schlunde hin, und 
seine kleinen Hände waren gefaltet, als ob er für das 
unglückliche Opfer betete. 
Der Ton einer Stimme, die er zu kennen glaubte 
ciß ihn plötzlich aus seiner besorgten, außergewöhn— 
lichen Stimmung, er wandte sich um nach der Frau 
hin, welche sprach. O Glück! Es war seine Mutter. 
Er fiel in ihre Arme, ohne ein Wort hervorbringen 
zu können. 
Der auf's äußerste besorgte Vater stellte eine 
Menge Fragen an ihn: Woher kömmst du doch? Und 
zu dieser Stunde? Wo ist deine Schwester? Wer ist 
es, der hier in die Tiefe gestürzt? 
Der arme Junge konnte nur mit undeutlichen 
Lauten antworten, doch ging daraus hervor, dass er 
nicht wisse, wo seine Schwester sei, dass sie sich aber 
aicht unten in ihrer Hütte befinde. Er sei hinauf— 
gekommen, um seine Eltern zu suchen und da habe 
er nahe am Wege Hülferufe vernommen, während er 
am Fuße des Kreuzes gebetet habe. 
Eirne schreckliche Ahnung ergreift nun die Herzen 
der armen Eltern. Sie wagen ihre Befürchtung nicht 
zu äußern, aber um so mehr leiden sie. Sie warten 
cuhig, bis die Hülfsarbeiten überlegt sind, um die— 
selben nicht aufzuhalten. 
Da wird ein gewaltiger Balken über den Ab— 
grund gelegt und ein muthiger Mann aus den Bergen 
begibt sich auf diese rasch gebaute Brücke. 
Aber, o Himmel! er bemerkt das unglückliche 
Geschöpf in einer gewaltigen Tiefe, aber an einem 
Vorsprunge des Felsens durch etwas gehalten in großer 
Gefahr in jedem Augenblicke auf den Boden des 
Schlundes hinabzustürzen. 
Es ist ein großes, starkes Mädchen, dessen 
Stimme jetzt wieder empordringt, ohne dass es jedoch 
jseinen Blick hinauf richten kann zu demjenigen, der 
sie anruft und retten will. 
„Es ist ein junges Mädchen!“ ruft der Mann, 
„ich sehe, sie lebt noch, wir werden sie retten! Rasch 
eine Strickleiter und starke Arme, die sie am nächsten 
Baume recht festmachen ·“ —— J 
Man eilt, Alles hilft, — nur die armen Eltern 
aicht, sie sind von Schrecken wie gelähmt. 
Nach einer halben Stunde banger Erwartung 
erscheint der kräftige Mann wieder und bringt das 
Mädchen empor, welches er an seinen Gürtel befestigt 
das aber auch noch Kraft genug hatte, an seinem 
Retter sich krampfhaft festzuhalten. 
Es war Marietta. 
Nach einiger Zeit konnte sie der staunenden 
zerührten Menge, zu Füßen ihrer alten, vor Schmerz 
ind Freude schluchzenden Eltern mit leiser Stimme 
Folgendes erzählen: 
„Seit zwei Tagen fühlte ich mich sehr unwohl, 
neine Kräfte schwanden und ein heftiges Fieber zehrte 
in meinem Leibe. Die Furcht, krank im Bette liegen 
zu müssen, während Hermann allein bei mir war, 
rieb mich zu einem verzweifelten Unternehmen. Ich 
intschloß mich, die ruhige klare Nacht zu benutzen, um 
iach der oberen Sennhütte zu gelangen und meine 
Mutter zum kleinen Hermann hinabsteigen zu lassen. 
Das konnte ganz gut in einer Nacht geschehen, ohne 
dass der arme Junge etwas gewahr wurde. 
„An dieser Stelle angelangt, gerieth ich für 
einen Augenblick vom Wege ab, strauchelte und stürzte 
n den Abgrund. Ich hätte umkommen müssen, aber 
ch fühlte plötzlich, dass ich irgendwo hängen blieb 
und zwar an einem Gegenstande, den ich in der Hand 
sjatte. Dieses Hindernis war meine Rettung. Als ich 
zur Besinnung kam, erkannte ich, was mich über dem 
Abgrunde schwebend hielt. 
„Es war mein Rosenkranz, gesegnet von Unsrer 
Lieben Frau von Einsiedeln, mit dem goldenen Kreuze 
»as mir meine Mutter in meinem fünfzehnten Jahre 
geschenkt hat. 
„Preiset mit mir die heilige Jungfrau, die 
Schutzpatronin unserer Cantone; Sie ist es, die mich 
gerettet hat“ 
O gute Mutter! sei auch unsere Schützerin in 
den tausenderlei Gefahren dieses Lebens! lass es nicht 
zu, dass wir zu Grunde gehen in einem der vielen 
Abgründe, die überall auf unserem Wege gähnen! 
Leite uns zum Himmel empor! Wir wollen Dich 
räglich darum bitten, indem wir andächtig unsern 
Rosenkranz beten und ihn allezeit bei uns tragen als 
ein Unterpfand Deines mächtigen, mütterlichen Schutzes. 
Zur Geschichte des katholischen Pressvereines der Diüöcese Linz. 
IV. 
d. bisherigen Usus gemäss bringt der Pressver— 
einskalender auch heuer wieder einen kleinen Ab— 
riss der Geschichle des Pressvereines Zwar kaun 
sich selber nur auf das abgelaufene Vereinsjahr er— 
strecken, er bietet aber desungeachtet für die Vereins— 
mitglieder, zu deren Orientirung er ja zunächst ge— 
schrieben, mancherlei Interessantes. 
Haben wir im vorjährigen Kalender gesagt, „das 
Lentrum des Pressvereines bilde seine Druckerei“, so 
inden wir gewiss allenthalben Glauben, wenn wir 
seuer sagen: Dies Centrum hat uns im. abgelaufenen 
Jahre die grössten Sorgen bereitet. — 
Anm 4. November 1883 war es, dasßs der allein 
oollkommen Kundige unseres Geschäftes, Leiter Herr
	        
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