Volltext: Meine Kriegserinnerungen

Kanzlsrrvechsel — Der Angriff im Westen 
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Die Arbeit, die ich zu bewältigen hatte, war ungeheuer; um den Weltkrieg 
zu führen, mußte ich das Kriegsinstrument beherrschen. Das verlangte schon 
eine ungewöhnliche Arbeitskraft. Undenkbar war es, daneben noch die Leitung 
der so ungemein schwerfällig arbeitenden Regierung zu übernehmen, die noch 
viel mehr einen ganzen Mann erforderte. Deutschland brauchte einen Diktator, 
der in Berlin und nicht im Großen Hauptquartier saß. Dieser Diktator mußte 
ein Mann sein, der die Verhältnisse in der Heimat vollständig übersah und 
kannte. Ihm wäre Berlin vielleicht gefolgt. Ich konnte diese Aufgabe nicht 
übernehmen. Im Kampf mit mir selbst wurde ich mir darüber klar. Nicht 
Scheu vor Verantwortung hielt mich zurück, sondern die klare Erkenntnis, daß 
eine Menschenkraft nicht ausreicht, das Volk in der Heimat und das Heer am 
Feinde in diesem Volks- und Weltkriege allen Widerständen und Reibungen 
zum Trotz gleichzeitig zu führen. 
Mir blieb nichts anderes übrig, als neben meinen gewaltigen Aufgaben 
an der Front das Ringen mit der Regierung weiterzuführen, um das zu er 
halten, dessen das Heer zum letzten und endgültigen Siege bedurfte. 
Die Vorbereitungen für den Angriff im Westen 1918. 
Die Kriegslage zu Lande war um die Jahreswende. 1917/18 durch den 
Ausfall Rußlands für uns eine günstigere geworden, als je anzunehmen war. 
Wir konnten wie 1914 und 1915 daran denken, durch Angriff zu Lande den 
Krieg zur Entscheidung zu bringen. Die Stärkeverhältnisse lagen so, wie wir 
sie noch nie gehabt hatten. 
Der verschärfte I7-Bootkrieg hatte wirtschaftlich bisher nicht das geleistet, 
was der Chef des Admiralstabes von ihm erwartet und auch ich auf Grund des 
Urteils der Sachverständigen von ihm erhofft hatte. Infolge des späten 
Einsetzens hatte die Entente in zwei Kriegsjahren Gelegenheit gehabt, sich 
auf ihn wirtschaftlich einzustellen und die kriegerische Abwehr auszugestalten. 
Aber blieb ihm auch die kriegsentscheidende Wirkung bis zum Oktober 1918 
versagt, so fielen doch seine Leistungen schwer in die Wagschale. Es wäre 
ein Fehler, nicht die erhebliche Entlastung in Rechnung zu stellen, die die 
Westfront durch ihn gehabt hat. Die Leistungen unserer I7-Bootbesatzungen 
bleiben für alle Zeiten Heldentaten von leuchtendem Glanz, auf die Vater 
land und Marine stolz sein können. 
Um die Jahreswende 1917/1918 konnte ich noch mit einer Ansicht der 
Marine rechnen, die hoffnungsfreudig lautete. Allerdings war ich zweifelhafter 
geworden, so daß ich meine Gedanken auf das Eintreffen der Neuformationen 
der Vereinigten Staaten vom Frühjahr 1918 an einstellen mußte. In welchem 
Umfange sie auftreten würden, war nicht zu übersehen; wohl aber blieb mit 
Sicherheit anzunehmen, daß im Frühjahr das Kräfteverhältnis für uns günstiger 
sein würde als später im Laufe des Sommers und Herbstes, es sei denn, daß 
wir bis dahin einen großen Sieg davongetragen hatten. 
Die O.H.L. stand im Spätherbst 1917 vor der entscheidenden Frage: 
Konnte sie die im Frühjahr bestehende Gunst der Verhältnisse zu einem großen 
Schlage im Westen ausnutzen oder sollte sie sich, ohne diesen Versuch zu machen, 
planmäßig auf die Verteidigung beschränken und nur Nebenangriffe, etwa in 
Italien oder Mazedonien, ausführen?
	        
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