Volltext: Hier spricht der Feind

sich den Gürtel enger schnüren müssen. Aber die Dümmeren, die ihre Nasen aus 
den Höhlen herausstrecken, läßt ein gut gezielter Schuß einen Luftsprung machen. 
Die Nacht bricht an, ein eisig kalter Sturmwind weht. Wird der verzweifelte 
Gegenangriff erfolgen? Wir warten ohne Nahrung, ohne Decken und -Unter¬ 
stände, klammern uns an den Verg an und warten, bis der Feind vorgeht. 
5. Dezember. Alle Nachtangriffe sind verzweifelt zurückgeschlagen worden. Die 
Soldaten hungern und frieren in der harten Nacht. Aber solange noch die 
erfrorenen Hände das Bajonett halten können, wird man zuschlagen. Der Mond 
geht langsam hinter dem Wald auf, in dem es von Hinterhalten wimmelt. Man 
hört nur das Stöhnen der Verwundeten und das schmerzende Schweigen in der 
Ferne, woher man vergebens den Racheschrei erwartet. Die Patrouillen, die man 
ausgeschickt hat, um einen Anschluß nach links zu suchen, kommen nicht mehr 
zurück; der Feind, der uns auf allen Seiten einschließt, muß sich auch dort schon 
befinden. Von Zeit zu Zeit hört man über den Wald die Minen De Simones 
rauschen. Wir haben lü Kisten voll; wir müßen alle lü Kisten auf den Feind 
ausleeren. Auch für ihn soll dies eine Nacht des Todes und des Schreckens sein... 
Beim Morgengrauen suchen uns die Maschinengewehre und Rauchgranaten 
heim, die in die Augen und Nase beißen. Immer noch dieses nutzlose Hinwarten. 
Der tote Unterleutnant schläft neben mir, und ich beneide ihn um seinen ewigen 
Schlaf, der den gewaltigen Zusammenbruch nicht mehr sieht. Er ist in der Wut 
des Gegenangriffs gefallen, in einem Augenblick, wo die Siegesgewißheit ver¬ 
wegene Handlungen erzeugt. Hunger, Durst und Kälte der Nacht fesseln noch 
unsere Glieder. Da wir seit 48 Stunden nichts mehr gegessen und getrunken 
haben, da wir keine Patronen mehr haben und unsere Zahl winzig zusammen¬ 
geschmolzen ist, vollendet das Schicksal selbst den Akt. Der Vorhang fällt. 
Bittere Tränen, so tiefe Qual, daß man den Eindruck hat, selbst der Tod würde 
sie nicht enden. Soll man einen verzweifelten Entschluß faßen? Ich sehe am 
Ende das Gesicht meiner Mutter und werfe meine Pistole in die Schlucht. Ich 
sehe die ältesten meiner Alpini vor Scham weinen, weil sie sich gefangengeben 
müßen; es sind die, die mit mir den Schlachten von Valsugana und Cauriol, 
drei Kriegswintern und dem Gemetzel von Ortigara entronnen sind; sie haben 
eine ganze Reihe von Toten überlebt, die wir in verlorenen Tälern, auf ver¬ 
lorenen Gipfeln laßen mußten. Ich weiß den Namen des Soldaten nicht mehr, 
der neben mir sagte: „Was wird meine Mutter sagen?" Aber ich sehe noch sein 
Gesicht, verbrannt vom Atem der Schlacht, tränenschimmernd. 
Ihr Generalstäbler, habt ihr uns deswegen den Verg entrissen, den wir, wir 
zu verteidigen gewußt hätten, und uns in diesen Arschsack gestürzt? Das ist dein 
Lohn, tapferer Alpino!... Trauerzug zu den rückwärtigen Stellungen des Feindes. 
Glücklicherweise verdrängt ein wütender Hunger den Schmerz. Im Dunkeln tut 
man uns mit einer gewaltigen Horde anderer Gefangener zusammen: wieviel 
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