Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

Die Einnahme von Antwerpen 
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Heer vorhanden. Ich verstehe jetzt, daß er in zwei Richtungen wirkt, versöhnend und 
erschreckend. Das erstere ist verständlich. Aber auch Schrecken verbreitet er. Das ist 
mir in Brüssel begegnet. Eine Abteilung Pioniere schritt am Botanischen Garten ent 
lang, ich blickte ihnen nach, sie sangen das ewig schöne Lied vom Wiedersehen in der 
Heimat. Da fragte mich eine ältere Dame: „Mein Herr, was planen sie nur wieder, 
diese schrecklichen Menschen?" Ich sagte: „Nichts, Madame, sie singen von ihrer 
Heimat." Daraus sie: „O nein, ich weiß es. Wenn sie singen, dann haben sie immer 
etwas Furchtbares vor. Warum singen sie sonst so laut?" Auch in Antwerpen sangen 
sie. An den verlassenen dunklen Häusern schlug das Lob des Vaterlandes hoch — wie 
das Licht und der Rauch der blutroten Fackeln. Bis in die Nacht hinein, als ich vom 
höchsten Fenster des Hotels über die Dächer der Stadt sah, immer noch sangen sie." 
Im eroberten Antwerpen 
Nach Berichten von Augenzeugen 
Zahlreiche Briefe von deutschen Soldaten und Berichterstattern schildern, wie es in 
Antwerpen nach der Einnahme aussah. Die Straßen waren anfangs fast 
menschenleer, denn nur der kleinere Teil der Bevölkerung war geblieben und auch von 
diesem ließ sich fast niemand sehen. „Scheu steckten nur einige die Köpfe hinter den Straßen 
ecken hervor," heißt es in einem Bericht, „um dem Einzug der .Barbaren' zuzusehen. 
Als diese aber sich so gar nicht barbarisch benahmen, sondern nur friedlich singend daher 
zogen, da kamen ihrer bald mehr hervor und noch mehr, und schließlich bildeten sich 
Trupps von Männern und Frauen, die mitzogen, als wäre es nicht mehr der Feind, 
der einzog, sondern ein erlösender Freund. Mit dem Freundschaftsgefühl mag es nun 
freilich nicht weit her sein. Aber ein Gefühl der Erlösung hat der Einzug der deutschen 
Truppen den noch in ihrer Stadt verbliebenen Einwohnern gebracht. Das räumte man 
uns offen ein, als wir diesen und jenen über die letzten Tage befragten. Die Musik 
und das Feuerwerk der deutschen Granaten waren ihnen doch zu unheimlich geworden 
und Wasser hatte man selbst kaum noch zum Waschen." 
Die meisten, die sich noch versteckt hielten, kamen am folgenden Sonntag nachmittag 
hervor und zeigten sich auf der Straße, besonders auf dem Platz vor dem Rathause, 
in dem sich die deutschen Militärbehörden niedergelassen hatten. Dort entwickelte sich, 
wie der Korrespondent des „Berliner Tageblatts" erzählt, bald eine eifrige Lebendigkeit, 
ein Hin und Her zwischen deutschen Soldaten und flämischen Kleinbürgern. „Sie fanden, 
daß sie sich merkwürdig gut miteinander verständigen konnten, daß ihre Sprachen sich 
sehr ähnelten. Der Antwerpener konnte den Deutschen führen, der ein ordentliches Glas 
Bier und einen feinen Tabak suchte. Und so verschwand sehr bald die Fremdheit. So 
entstand schnell eine gewisse Vertrautheit, die in den Casös sogar noch wuchs. Die CafSs 
am Rathaus hatten alle wieder geöffnet. Zufrieden genoß man den ersten Ruhetag in 
Antwerpen nach dem vorhergehenden Einzugstage. Der Wechsel vom belgischen zum 
deutschen Regiment war schneller und leichter und viel milder vor sich gegangen, als 
man gefürchtet hatte. Die Antwerpener, die auf den Rathausmarkt kamen, sagten alle: 
„Gott sei dank, wir haben Ruhe!" Und sie fragten: „Können wir jetzt unsere Freunde 
und unsere Verwandten zurückholen, die aus der Stadt geflüchtet sind?" Wenn man 
ihnen sagt, daß sie nichts mehr zu befürchten haben, sind sie schon gar nicht mehr so 
ungläubig. Belgische Gefangene und die deutschen Soldaten erzählten sich Kriegsgeschichten, 
als wenn es nur Jagdabenteuer wären." 
Reges Leben herrschte am Hafen. Dort waren Offiziere und Mannschaftm damit 
beschäftigt, die weitausgedehnten Stadenschuppen zu durchsuchen. Sie entdeckten eine 
lange Reihe vollbeladener Kohlenwagen. Weniger wertvoll waren die Lager an belgi
	        
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