Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

164 Die Entwicklung der Schlachtlinie im Westen bis zum Kanal 
daß die englischen Kanonen schon unterwegs seien, und daß sich der Sieg ohne Frage 
an die belgisch-englischen Fahnen heften müsse. 
Mittlerweile ließen sie die Bewohner der Stadt in Sicherheit bringen. Man ließ 
täglich Züge mit Flüchtlingen ab. Zu Hunderttausenden zogen sie aus. Nach Ost 
ende, Calais und nach England. Ein Korrespondent des „Nieuwe Rotterdamsche Cou 
rant" gibt eine packende Schilderung von der allgemeinen Flucht in den letzten Stunden 
der Belagerung. „Es ist unmöglich," sagt er, „diesen Auszug zu beschreiben. In den 
Straßen liefen die Leute, dicht gedrängt, zu sechs und sieben in einer Reihe, — zu Fuß, 
auf Wagen, zwanzig bis dreißig Menschen in allen Altersstufen auf eine Karre gepackt. 
Hunderte auf Fahrrädern und Motorrädern, viele aus Krücken, alles hochbepackt mit 
dem Nötigsten ihres Eigentums. Aber alles zieht aus, so viel mitnehmend, als man 
kann. Auf der Erde sitzend, warte ich mit zwei- oder dreitausend Menschen auf ein 
Schiff, um wegkommen zu können. Der Nachmittag ist bald vorüber. Der Nachmittag 
eines schönen Tages. Die Sonne geht langsam unter, aber wir können die Sonne nicht 
sehen, denn die ganze Luft ist durchsetzt durch gewaltigen, schwarzen Rauch, der in fünf 
Säulen von der Erde aufsteigt und sich über den Himmel breitet. Die Belgier haben die hohen 
Petroleumtanks angezündet, die am Ufer der Schelde liegen und die ihr ganzes Land, 
sowie Nordfrankreich und die Rheinprovinz mit Brennstoff versehen. Nur in Galizien 
und auf den amerikanischen Oelfeldern kann ein ebenso gewaltiger Brand entstehen. Es 
brennt noch an vielen anderen Stellen in der ganzen Stadt. Einige Brände sind von 
den Belgiern selbst angelegt worden, um zu verhindern, daß die enormen Vorräte der 
Stadt den Deutschen in die Hände fallen. Hier am Hafen werden Schiffe mit Vor 
räten aller Art angefüllt. Leichter, schwer von Korn, werden weggeschleppt und die 
Schleppdampfer selbst sind vollgepfropft mit Fleisch, Mehl, Konserven usw. Offensichtlich 
will man den Deutschen nichts zurücklassen." 
Mitten im Gedränge der Flüchtlinge erschien das königliche Auto mit dem König 
und der Königin. Den Hoszug konnten sie nicht benützen, da deutsche Flieger aus 
die Bahnhofsvorbereitungen aufmerksam geworden waren. Das Königspaar fuhr über 
die militärische Schiffsbrücke nach dem anderen Ufer der Schelde und war bald außer Sicht. 
Das Bombardement dauerte bis zum 9. Oktober gegen zehn Uhr morgens. Im ganzen 
sind ihm nur 26 Zivilpersonen zum Opfer gefallen. An verschiedenen Stellen waren 
Feuersbrünste ausgebrochen, aber kein öffentliches Gebäude hatte merklichen Schaden 
genommen. Auf der Antwerpener Kathedrale hatten die Belgier anfangs einen militärischen 
Beobachtungsposten aufgestellt; da sie ihn jedoch auf dringende Mahnung zurückzogen, 
blieb dem Bauwerk das Schicksal der Reimser Kathedrale erspart. Das einzige, was 
wirklich schwer gelitten hat, sind die Fensterscheiben der Häuser, die meist zerbrochen oder 
zersprungen sind. Man versteht, wenn man sie sieht, den jüngsten Volkswitz der Brüsseler: 
„Was möchtest du augenblicklich am liebsten sein? — Glasermeister in Antwerpen." 
Die Einnahme von Antwerpen 
Die Uebergabe der Stadt und der Einzug der deutschen Truppen 
Es war bisher Kriegsbrauch, daß die geschlagenen Truppen eine niedergerungene 
Festung durch einen ihrer Führer dem Eroberer auslieferten. Die Belgier, ganz im 
Banne der englischen Verbündeten, haben mit diesem Brauch gebrochen. Sie hatten sich 
vorher in Sicherheit gebracht und überließen die Formalitäten den Zivilbehörden. 
Am Morgen des 9. Oktober gegen neun Uhr begab sich der Bürgermeister von Ant 
werpen, De Vos, mit dem liberalen Abgeordneten Dr. Franck und dem katholischen
	        
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