Der flandrische Kriegsschauplatz
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Zufall nicht erklären. Der Feind schoß besser als an anderen Tagen. Es mußte ein Zufall
sein, denn weit und breit war kein Grund zu erkennen. Das Dorf verlassen und zerschossen.
Die Straßen aufgewühlt. Krieg und Lärm überall und dennoch lastend die eisige Ruhe.
Do löste der Zufall das dunkle Rätsel. Ein deutscher Ofsizier sah nach dem Kirchturm
von Elewyt. Er wollte feststellen, wann die Uhr des Turmes stehen geblieben war. Er
traute seinen Augen kaum. Waren es die aufgepeitschten Nerven? Die überreizten und
ermüdeten Sinne? — Nein: Die Zeiger der Uhr bewegten sich langsam hin und her.
Eie waren weiß angestrichen, so daß sie sich leuchtend von dem schwarzen Zifserblatt ab
hoben. Und wie von Geisterhand geleitet, kündeten sie genau an, wie die Schüsse lagen,
die ununterbrochen in die deutschen Linien sielen. Die Uhr, die sonst dem Dorfe Arbeit
und Vesper in stumpfem Gleichmaß gewiesen hatte, lenkte jetzt das Feuer der Schlacht,
das verheerend im eigenen Lande einschlug.
Als man zur Kirche stürmte, kam ein hagerer, schweigsamer Mann aus dem Turm.
Der Zufall hatte ihn auf den Turm geführt. Durch Zufall waren die Zeiger der Uhr
weiß angestrichen. Durch Zufall hat er die Zeiger bewegt, um zu sehen, ob die zerschossene
Uhr wieder herzustellen sei. So sagte er.
Der Zufall wollte es, daß eine belgische Granate mitten hinein in die Untersuchungs
szene fiel. Der Mann von Elewyt und zwei deutsche Soldaten, die an seiner Seite
standen, wurden getötet.
Die Granate hatte sich verirrt, weil die Zeiger der Uhr ihr nicht mehr den Weg wiesen.
Und als der Abend kam, waren die Batterien des Feindes genommen."
Das Eiserne Kreuz für einen französischen Offizier
Eine rührende Episode spielte sich nach einem heftigen Nachtkampf bei Ipern ab, die
französische Blätter noch der Erzählung eines Soldaten wie folgt wiedergeben: „Die
Nacht verstrich, die Morgendämmerung brach an, und wir konnten das Gelände sehen,
wo wir gekämpft hatten. Ohne Zweifel waren die Deutschen nach der Schlacht zurück
gekommen, um ihre Kameraden zu holen. Das Gelände war leer, keine Toten, keine Ver
wundeten waren zu sehen, nur ein einziger Verwundeter lag auf halbem Wege zwischen
den beiden Schützengräben im Kugelregen. Unsere Leute schossen noch inimer, doch
keiner zielte aus den Unglücklichen. Auf einmal sahen wir einen Mann aus den deut
schen Gräben herauskommen und auf den Verwundeten zuschreiten, dem er offenbar
Helsen wollte. Eine Salve von uns streckte ihn nieder. „Feuer einstellen!" befahl plötz
lich unser Offizier. Wir gehorchten und sahen nun zu unserer großen Ueberroschung,
wie der Ofsizier den Graben verließ. Von den Deutschen traf ihn eine Kugel; aber er
rosste sich mit ungeheurer Kraftanstrengung auf und marschierte festen Schrittes zu dem
deutschen Graben. Jetzt erhob sich ein Beifall aus beiden Gräben, und während einer
Stunde wurde weder hüben noch drüben ein Schuß abgegeben. Unser Offizier ging bis
zu dem Verwundeten hin und, obwohl selbst verwundet, hob er ihn auf, stützte und führte
ihn bis zu den deutschen Gräben, wo er ihn vorsichtig auf einem Erdhügel absetzte und
sicher, als wäre er zu Hause, zu uns zurückkehrte. Aher er kam nicht ohne Belohnung
wieder. Ein deutscher Offizier stürzte aus seinem Graben, und indem er von seinem
Wafscnrock das Eiserne Kreuz herunterriß, heftete er es an die Brust unseres Helden.
Aus beiden Gräben ertönten stürmische Bravorufe. Langsam kam unser Offizier zurück
und von unseren Beifallsrufen begrüßt, fiel er ermattet und bewußtlos in unsere Arme.
Die Deutschen aber ließen uns Zeit, ihn aufzunehmen und ihm Hilfe zu spenden. Dann
setzte der erbitterte Kampf von neuem ein."
Wie die „Straßburger Post" erfährt, heißt der französische Hauptmann, der auf diesem
außergewöhnlichen Wege das Eiserne Kreuz erhielt, Dettweiler; er ist ein Sohn des