Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

104 Die Kümpfe an der Westfront bis Mitte Januar 1915 
sich Haufen Neugieriger herum. Hier und da tauchen malerische Indier oder Afrikaner 
auf, die lächelnd in dem schwarzen Gesicht ihre schneeweißen Zähne zeigen und auf ihre 
Verbände hinweisen. Ueber einen freien Platz kommt ein Trupp schottischer Hochländer. 
Ich sehe ihre sich taktmäßig bewegenden nackten Beine noch lange, während sie in der 
Dunkelheit der Nebengassen verschwinden, und während ihr Gesang: „Pat, Mac and 
Joe, Hallo!“ langsam erstirbt. Aus einem anderen Winkel kommt in stummem Marsch 
ein Bataillon Franzosen mit dem Spaten über der Schulter — sie haben augenschein 
lich Laufgräben gegraben. Alle Menschen sind hier übrigens davon überzeugt, daß die 
Deutschen nicht bis Calais vordringen werden. Plötzlich hört man helles Glockengeläut 
den Straßenlärm übertönen, und alles strömt auf dem Markt zusammen. Aus der 
Dunkelheit taucht eine Reihe von Ambulanzen auf; aus dem wüsten Geschrei des Pöbels 
tönen die Rufe: „Lea boches, les boches“ heraus. Es sind verwundete deutsche Kriegs 
gefangene. Einen von ihnen sehe ich flüchtig; er liegt auf dem Dach der Ambulanz, und 
ein Franzose zu seiner Seite, der ihm den Kopf stützt, starrt ihn verwundert an. Wie 
der Verwundete den Lärm hört, lächelt er; dann wird sein Gesicht bleich wie Kalk und 
er schließt die Augen. Woher kommt dieser Mann? Weshalb ist er ein Feind? Ich 
fühle, wie aus meinem Herzen ein verborgenes Gefühl hervorbricht; es ist wie das plötz 
liche Wiedererkennen eines Stammesverwandten, und Mißmut erfaßt mich, ihn über 
wunden zu sehen. Ich blickte in Augen, die die Augen meiner Rasse waren.... 
An diesem Abend war auch die Königin von Belgien wieder in der Stadt, um die 
Verwundeten zu besuchen. Vor dem neuen Rathause, das noch nicht ganz fertig ist, 
wartete ihr Auto. Während der Wind durch die offenen Fenster des Untergeschosses 
heult, liegen in den obersten Stockwerken die Verwundeten. Ein Offizier ging der 
Königin voran und öffnete die Türe des Wagens. Bevor sie einstieg, blieb sie einige 
Augenblicke stehen; vielleicht war sie von dem grellen Licht der Scheinwerfer des Wagens 
geblendet. Sie trug eine Regenkapuze und einen pelzgefütterten Mantel über ihrem 
schwarzen Kleide. Die Frau schien in dieser weiten Umhüllung fast zusammenzu 
schrumpfen. In ihrem Gesicht liest man keine Angst; aber es scheint starr von unend 
licher Verwunderung. Sie hat in ihrem Blick etwas von einer Schlafwandlerin; sie 
macht den Eindruck, als ob sie ununterbrochen denke und doch nicht verstehen könne. 
So sieht es abends in Calais aus; wenn die Stadt zur Ruhe geht, wenn Stille ein 
tritt, dann hört man durch das Heulen des Windes hindurch aus der Ferne ein selt 
sames Geräusch: Es ist der Donner der Kanonen, die ununterbrochen und drohend von 
der Front ihre Stimme erschallen lassen." 
Episoden vom flandrischen Kriegsschauplatz 
Zufälle des Krieges 
Heinrich Binder, der Kriegskorrespondent des „Berliner Tageblatts", erzählt: 
„Es war bei Elewht. Ein kleines Dorf, etwa drei Kilometer westlich von Eppeghem. 
Am Wege liegt das Schloß Steen. Rubens hatte es 1635 für sich und seine Helene Four- 
ment gekauft. Hier reiften in schönen Sommermonaten die wuchtigen Farbenträume seiner 
derbgewaltigen Kunst. Heute liegt das Schloß verödet und verwüstet. Die Belgier und 
Franzosen hatten sich vor den Deutschen hier einquartiert. Sie haben Gemälde von un 
schätzbarem Wert zerschnitten und das reiche Gold der Rahmen zerhackt... 
Im Park des Schlosses liegen ein paar deutsche Gräber. Wunderbar eingebettet in 
die altflandrische, weiße, winterliche Ruhe. Und drüben, über Hecken und Feldern, liegen 
die Trümmer von Elewht. 
Hier gab es heiße Tage. Hier tobte die Schlacht, und die Deutschen kamen nur lang 
sam vorwärts. Es ging nicht so schnell wie sonst, und man konnte sich den hemmenden
	        
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