Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

In diesem Sinne sind auch an Nekljudow Weisungen ergangen, die 
nach seiner Mitteilung, sowohl bei Geschow wie auch bei Spalaikowitsch 
Widerhall gefunden haben. 
Neratow. 
Nr. 545. 
¡1* Der russische Gesandte Hartwig, Belgrad, 
an das Ministerium des Äußern in Petersburg.*) 
Nr. 179. Belgrad, den 1./14. November 1911. 
Nach allen vorhandenen positiven Unterlagen beabsichtigen weder 
Serbien noch Bulgarien das Abkommen speziell zu aggres¬ 
siven Zwecken anzuwenden. (?1) Bei den persönlichen Unter¬ 
redungen Geschows mit Milowanowitsch stellte sich heraus, daß beide 
Staaten ihre Aufgabe vor allem in der Erhaltung des gegenwärtigen Zu¬ 
standes und in dem gegenseitigen Schutz ihres Besitzes gegen Angriffe 
von außen sehen; nur bei einer von der gesamten europäischen Presse 
für möglich gehaltenen Zuspitzung der Dinge auf dem Balkan ist ein 
aktives Hervortreten zulässig und auch nur mit Einwilligung und 
Billigung von seiten Rußlands. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, 
daß ein solcher von Rußland gebilligter Vorbehalt der beiden Staaten 
auch für uns wichtig ist, damit die Staaten, von den Ereignissen 
wie im Jahre 1908 überrascht, sich durch ihre Politik nicht gegen¬ 
seitig Abbruch tun. Das Telegramm Ew. Exzellenz ist vor Empfang 
meiner Depesche Nr. 64 abgegangen, in welchem die vorgenommene 
Änderung des Art. 3 mitgeteilt wurde, und zwar in dem Sinne, daß 
die Festsetzung der Aktionsfälle voll und ganz Rußland überlassen 
bleibt. Ich bemerke noch, daß ich am Anfang des Art. 3 eine wichtige 
Einschränkung ausgelassen habe: „Wenn gegen den Willen der Parteien 
der Status quo auf dem Balkan zu ihrem Schaden gestört wird, wenn 
eine der Parteien . . .“, welcher Satz gerade auf das Streben der Par¬ 
teien den Status quo bis zur äußersten Möglichkeit aufrechtzuerhalten 
hinweist. Der mit dem vorhergehenden in enger Verbindung stehende 
Art. 4 regelt die Verteilung der Eroberungen, die gegen den Willen beider 
Parteien durch die im Art. 3 vorgesehenen besonderen Umstände hervor¬ 
gerufen werden. Als Grundlage für die Angrenzung der Sphären dienen 
die kulturellen, wirtschaftlichen und nationalen Aufgaben. Wenn man 
überhaupt die Frage vom örtlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, so halte 
ich es für meine Pflicht, die Überzeugung auszusprechen, daß die Elimi¬ 
nierung des Artikels über die gegenseitige Hilfe bei besonderen Um¬ 
ständen das Abkommen in den Augen der beiden Staaten wertlos macht; 
*) Krassny Archiv Tom. IX, S. 4-
	        
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