Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Nr. 182. 
Der serbische Gesandte Spalajkowitsch, Sofia, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Sofia, den 
28. Juli 
I9Í2. 
10. August 
Herr Geschoff hat Nachrichten, daß die privaten Besprechungen 
zwischen der Türkei und Italien, welche jetzt in Zürich stattfinden, 
vier Hauptpunkte zum Gegenstände haben. Er weiß zwar nicht, was 
diese Punkte betreffen, allein es scheint, daß die gegenwärtige türkische 
Regierung sich nachgiebiger zeigt. Die Wahrung ihrer Souveränität über 
afrikanisches Gebiet wird seitens der Türkei nicht mehr in so kate¬ 
gorischer Weise wie früher gefordert. Sobald die privaten Unterhändler 
zu irgendeiner Verhandlungsbasis gelangt sind, werden die weiteren Ver¬ 
handlungen in die Hände der verantwortlichen Minister gelegt werden. 
Geschoff hofft, daß auch diesmal diese direkten türkisch-italienischen 
Besprechungen kein Resultat zeitigen werden, besonders wenn sich die 
Balkanstaaten klug und taktvoll verhalten, wird bei der Türkei der Wille 
zum Widerstand nicht abnehmen und der Krieg wird fortgeführt wer¬ 
den. Dies aber ist das Hauptziel von Geschoffs jetziger Politik. Er ist 
der Ansicht, man müsse den italienischen Krieg sich zu¬ 
nutze machen; sein Plan ist, zu irgendeiner gemeinsamen Kombi¬ 
nation mit Italien zu gelangen, welche die Aktion der Balkanstaaten 
erleichtern würde, aber um dies zu erreichen, ist die erste Bedingung, 
daß der Krieg so lang als möglich dauert, denn bloß in diesem Fallé 
würde Italien gezwungen sein, sich mit uns zu verständigen. Um diesen 
seinen Plan bemüht sich Geschoff unablässig, und zwar er persönlich 
beim hiesigen italienischen Gesandten und der Generalstabschef, General 
Fitscheff, beim hiesigen italienischen Militärattache. Geschoff findet, 
daß es auch für Italien, da es sich nun einmal im Krieg mit der Türkei 
befinde, jetzt die günstigste Gelegenheit wäre, nicht bloß die Frage 
wegen ihrer Ansprüche und Interessen in Afrika, sondern auch auf dem 
Balkan mit der Türkei völlig zu regeln. Er weiß, daß die Italiener Va¬ 
lona zu bekommen wünschen, und daß in Italien eine starke Strömung 
besteht, daß die Realisierung dieses Wunsches schon jetzt versucht 
werde. Darüber hat ihm auch Rizoff geschrieben. Geschoff findet, daß 
dies durchaus nicht mit den Interessen und Aspirationen Serbiens an 
der adriatischen Küste kollidiere, denn Valona liegt nicht in der serbi¬ 
schen Interessensphäre. Dagegen seien die Umstände für Italien gegen¬ 
wärtig sehr günstig, einen Krieg auf dem Balkan zu provozieren, Valona 
zu annektieren und Herr des Adriatischen Meeres zu werden. Daß sich 
in diesem Falle Österreich-Ungarn einmengen würde, sei wenig wahr- 
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