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auf das Hinterhaupt eine Kopfquetschwunde und hatte Kopfschmerzen und Erbrechen. In der 
Hoffnung, daß die Sache nicht so arg sei, verblieb ich in der Kampffront. Da sich aber mein 
Zustand verschlimmerte, wurde ich am Abende, als das Gefecht abflaute, mit einem Sanitäts¬ 
wagen zum Hilfsplatze bei Michalowka gebracht. 
Die eigenen Truppen mußten, infolge der feindlichen Übermacht und Flankierung des 
Rückzuges, auf Rawaruska zurückgehen und so blieb der Hilfsplatz vollkommen isoliert. Unseren! 
Bitten und Drängen, mit Rücksicht auf die kritische Situation den Hilfsplatz schleunigst nach 
rückwärts zu verlegen, konnte wegen Mangel an Transportmitteln und Bedrohung der Rück¬ 
zugslinie keine Folge gegeben werden. Während der Nacht wurde der Hilfsplatz von den 
Russen vollständig umzingelt und um 3 Uhr morgens des 8. September 1914 geriet er, mit 
all seinen Verwundeten und dem Sanitätspersonal (zirka 12 Ofsiziere und 100 Mann), in 
Feindeshand. Damit war auch mein Schicksal besiegelt und es begann der Leidensweg in die 
russische Gefangenschaft. 
.Das erste was die Russen taten, war eine gründliche Ausplünderung. Unter dem 
Titel ,,Visitierung", nahmen sie alles was wir an Wertgegenständen hatten ab. Auf einigen 
russischen Sanitätsfuhrwerken wurden nur die Schwerverwundeten verladen, alles andere mußte 
in dreistündigem Fußmarsche iu die nächstgelegene, russische Sanitätsanstalt wandern, wo wir 
die Nacht zubrachten. Nach weiterer dreitägiger Wagenfahrt auf Landesfuhrwerken elendster Art 
erreichten wir die'Eisenbahnstation Krasne. Für eine Verpflegung wurde unterwegs nicht gesorgt 
und wir mußten nns dieselbe, teils bei den russischen Soldaten, teils bei der Bevölkerung, erbetteln. 
Im Spital in Kiew und Moskau. Reise nach Sibirien. 
Von Krasne wurden wir nach dreitägiger, endloser Eisenbahnfahrt nach Kiew gebracht, wo 
sich im Garnisonsspitale schon Tausende von verwundeten und kranken Kriegsgefangenen befanden. 
Die spitalsmäßige Behandlung und Verpflegung war freilich nicht nach unseren Begriffen, 
aber nach dem was wir später in dieser Beziehung in Rußland erlebten, war es dort noch 
ganz hervorragend gut. 
Mildtätige deutsche und ungarische Frauen, die in Kiew ansässig waren, besuchten ihre 
kriegsgefangenen Landsleute im Spital und verteilten Lebensmittel und Wäsche. 
Das Pastorehepaar Jünger in Kiew muß hier an erster Stelle erwähnt werden. Während 
er sich bei den russischen Kommanden um die Verbesserung unserer Lage tatkräftigst einsetzte und 
auch viel erreichte, hatte sie die Wartung der an Typhus und Dysenterie erkrankten Kriegs¬ 
gefangenen übernommen und von früh morgens bis spät abends übermenschlich gearbeitet. Ihrem 
Beispiel folgten dann auch noch mehrere deutsche Frauen. In Kiew traf ich im Spital mit den 
beiden verwundeten Regimentskameraden Obstlt. Tenner und Major Kahler zusammen. Welch 
ein trauriges Wiedersehen! 
Wir glaubten uns damals schon so furchtbar weit von der Heimat und hatten noch keine 
Ahnung, was uns noch alles die Zukunft bringen sollte. 
Nach 14tägigem Aufenthalt in Kiew wurden wir in dreitägiger Eisenbahnfahrt nach 
Moskau transportiert und in das sogenannte Evakuierungsspital an der Peripherie dieser Riesen¬ 
stadt gebracht, von welcher mir nur die zahlreichen, goldenen Kuppeln der Kirchen in Er¬ 
innerung geblieben sind. Dort verblieben wir zirka 14 Tage, um sodann nach Jvanowo- 
Wosnosensk, nahe an der Wolga, abgeschoben zu werden. Hier traf uns die Hiobspost, daß alle 
deutschen Kriegsgefangenen nach Sibirien deportiert und einer besonders strengen Behandlung 
nach speziellen Vorschriften unterworfen werden. 
Der Gedanke nach Sibirien zu wandern, in das Land das wir nur als Schreckens¬ 
gespenst aus den russischen Romanen kannten, wirkte auf uns niederschmetternd. Eine schwere 
Gemütsdepression, die schon an Melancholie grenzte bemächtigte sich aller, und ich verhehle es 
nicht, daß auch mir dicke Tränen über die Wangen rollten, als ich die Schreckenskuude vernahm. 
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