Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

Die Ermordung des 
bien, ist nun doppelt so stark wie vordem, eine wertvolle Bundes¬ 
genossenschaft, die Freundschaft Rumäniens ist gefährdet, der 
Anschluß an die Türkei verloren. Das russische Prestige hat ge- 
litten seit dem Verrat von Bukarest, die Türkei ist gedemütigt, 
aber nicht gebrochen, Griechenland vergrößert, aber um die 
albanischen Häfen verkürzt, Italien beunruhigt durch die 
plötzlich auftauchende Mittelmeermacht. Unruhiger ist die Welt 
als je zuvor. Die Pandorabüchse des Balkans ist von der ver- 
wegenen Hand Jswolskys geöffnet worden: zu schließen hat sie 
keiner vermocht, nun strömen ihre giftigen Dämpfe auf und 
beunruhigen die Atmosphäre Europas. Enger haben sich die 
großen Staatenkomplexe Rußland, Frankreich, England zu- 
Die Ermordung des 
Der Balkankrieg hatte keine Entspannung gebracht. Nur 
deutlicher waren die beiden Mächtegruppen geworden, nur reger 
waren die Regisseure des Krieges in Frankreich und Rußland 
am Werke: es war ihnen gelungen, das Gleichgewicht der Welt 
in Schwebe zu bringen, eine einzige brüske Bewegung ver- 
mochte nun das Unheil zerschmetternd niederstürzen zu lassen. 
Überall war die Glut von ihnen künstlich glimmend erhalten 
worden: Rußland hatte Bulgarien verraten, Rumänien gegen 
Österreich-Ungarn mißtrauisch gemacht, Serbien mit Größen- 
wahn vergiftet und das neugeschaffene Reich Albanien sollte 
ein Keim der Zwietracht zwischen Österreich-Ungarn und Italien 
werden. Immer neue Schwierigkeiten wurden ersonnen, um 
die Wahl eines Fürsten zu verzögern und dort die Anarchie auf- 
wuchern zu lassen, die der russische Minister nicht ganz ohne 
Ahnung der geheimen Tätigkeit seiner Agenten prophetisch an- 
gekündigt hatte. Jede kleine Angelegenheit bei der Gründung 
des jungen Staatenwesens wurde künstlich kompliziert und dem 
neuen, endlich bestellten Herrscher, dem Fürsten zu Wied, eine 
Reihe von Revolten auf den Hals gehetzt. Die Monarchie hatte 
diesen Staat als Gleichgewichtsfaktor, als Element der Ruhe mit- 
ten zwischen die ewig feindlichen, ewig gärenden Balkanstaaten 
setzen wollen, Rußland und Serbien trachteten ihn als einen 
Keil zu verwenden, der das Einvernehmen Österreich-Ungarns 
und Italiens auseinandersprengen sollte. Kleine Staaten waren 
für Rußland seit je nur Preller, Sturmböcke, um das Gefüge 
des nachbarlichen Reiches zu lockern und um dann, wenn dieser 
ins Wanken geriet, selbst hervorzutreten und in dem Zusain- 
menbruch sich das Beste zu rauben. So war Bulgarien gegen 
die Türkei, Rumänien wieder gegen Bulgarien vorgeschickt 
worden: nun sollte von Albanien und Serbien die systematische 
Unterwühlung der Monarchie beginnen. Österreich-Ungarn 
von Norden, Süden und Osten gefaßt, Deutschland von Westen, 
Osten und Norden umklammert — die Falle war vorbereitet 
und vielleicht existierte schon damals in den Archiven ähnlich 
wie in jenen der Balkanstaaten vor dem Kriege mit der Türkei 
der ausgearbeitete Teilungsplan, in dem der lebendige Körper 
der Monarchie schon in großen und kleinen Fetzen zerteilt war. 
Allerdings, der Überfall war noch nicht sofort geplant. 
Rußland, obzwar in den zehn Jahren seit dem japanischen 
Krieg und der Revolution unendlich gekräftigt, mußte noch 
militärisch rüsten, vor allem in jenem Sinne, den der französische 
Generalstab verlangte, im Sinne einer erhöhten Mobilisations- 
geschwindigkeit. Die gewaltigen Kräfte des gigantischen Reiches 
konnten erst allmählich an Ort und Stelle geschafft werden, 
während es Frankreich darum zu tun war — diese Fragen 
wurden ganz offen diskutiert — daß von beiden Seiten 
gleichzeitig gegen Deutschland gestoßen werde und ihm beide 
Flanken gewaltsam eingedrückt. Es war zu einer solchen raschen 
Thronfolgers. 1914 45 
sammengeballt, enger auch Deutschland und Österreich-Ungarn, 
die Reibungsflächen sind vermehrt, die Gefahr vergrößert. 
Im deutschen Parlament bringt der Reichskanzler einen 
Milliardenkredit für Rüstungen ein, das französische antwortet 
mit der Annahme der dreijährigen Dienstzeit. Es ist eine 
schwüle Stunde, dichter und dichter ballt sich das Gewölk. 
Und alles deutet auf eine furchtbare Erinnerungsfeier des 
europäischen Zustand es vor hundert Jahren: der Völkerschlacht 
von Leipzig, da alle Staaten gegeneinander in Waffen standen, 
nur daß es diesmal das Herz Europas, das in Nibelungen- 
treue geeinte Deutschland und Österreich-Ungarn ist, das 
sich, einer gegen alle, zu verteidigen hat. 
Thronfolgers. 1914. 
Konzentrierung vor allem der Ausbau des Bahnnetzes in 
Polen nötig, für das Frankreich wieder eine Milliardenanleihe 
gerne bewilligte. Vorläufig wurden nur die bekannten „Probe- 
Mobilisierungen" eingeübt. Im Jahre 1916 sollte der Aufmarsch 
fertig sein, im gleichen Jahre wo der Handelsvertrag mit 
Deutschland ablief — für diesen Termin kündigten ganz un- 
verhohlen die Pariser Blätter die Abrechnung mit den Zentral- 
mächten an, denn dann könnte ja Serbien schon wieder erstarkt 
sein, und vielleicht Könnten der rollende Rubel und die fran- 
zösischen Anleihen inzwischen Italien und Rumänien für die 
Einkreisung gewinnen. Man wollte ja den Sieg möglichst 
bequem haben und — nach bewährtem System — möglichst 
auf Kosten der Bundesgenossen. 
Das offizielle Rußland brauchte also noch zwei Jahre, um 
seine kriegerischen Vorbereitungen zu vollenden. Deshalb 
wieder pathetische Reden über den Frieden und frenndfchaft- 
liche Besuche in Berlin. Inzwischen hatte das inoffizielle Ruß- 
land die Unterminierung des Terrains durchzuführen, die 
Slawophilen wurden vorausgeschickt, die an den Grenzen der 
Monarchie ihre „allslawischen", in Wahrheit aber panrussischen 
Kongresse abhielten, nationale Vereine stifteten, die unter un- 
politischer Maske systematisch Spionage und Aufwiegelung 
trieben. Die Rnthenen wurden durch ihre Popen bearbeitet, 
die als Kinder armer Leute umsonst in russischen Seminaren 
herangebildet wurden, um dann als Emissäre des Zaren- 
reiches wieber nach ihrer Heimat zurückgesandt zu werben. 
Zeitschriften, Kirchen wurden — angeblich mit dem Gelbe ber 
Ruthenen in Amerika, in Wirklichkeit aber mit ben Rubeln 
der Geheimfonds — gegründet, und ber Graf Bobrinsky, 
derselbe, ber so kühn war, beim Prozeß in Marmaros 
Sziget zu sagen, die Slawophilen seien der Monarchie nicht 
seind, kündigte ihnen die Befreiung vom polnischen Joche und 
die „russische Flagge auf der Höhe der Karpathen" an. Ganz 
Galizien wurde so systematisch von Agenten und Spionen 
unterwühlt, in der Bukowina die bekannten russischen „Kultur- 
vereine" gegründet; zweimal in kurzer Frist mußte der russische 
Militärattache Wien verlassen, weil er in sehr unangenehme 
Spionage-Affären verwickelt war. Überall arbeitete das un- 
offizielle Rußland, die Stellung der Monarchie zu unterhöhlen, 
unausgesetzt mußte die Staatsanwaltschaft dieser gefähr- 
lichen Maulwurfsarbeit nachgehen, die unterirdisch durch das 
ganze Grenzgebiet gezogen war und jede ihrer Maßnahmen 
wurde jenseits der schwarzgelben Pfähle als „Unterdrückung 
der slawischen Brüder" verkündet. Der Rubel rollte, von un- 
verantwortlichen Händen gestreut, aber die ungeheuren Mittel, 
die zur Vergiftung und Agitation der österreichisch-nngarischen 
Staatsuntertanen ausgegeben wurden, strömten aus den Ge- 
Heimfonds der Regierung. Das alte System der russischen
	        
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